Der mutigste Mann

Es ist noch lange nicht vorbei: Bobby Womack kehrt mit einem neuen Album aus der Versenkung zurück und stellt unseren Glauben wieder her, dass man mit Soul die Welt frisch erzählen kann
Christian Jooß |
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Da sei einer im Fernsehen gewesen, erzählt die knorrige, aus Amerikas Soulvergangenheit auferstandene Stimme. Der habe jedem erzählt, er habe Gott gesehen. Sofort habe er aufgehört zu zappen, sagt die Stimme. Gott, sprach der Fernsehmann, habe ihm aufgetragen, 8 Millionen Dollar zu sammeln. Da stockt der Sänger kurz. Dann fährt aus ihm der Erkenntnisblitz, der jeden geschäftstüchtigen Prediger erschlägt: „Gott war pleite.” Der Beat setzt ein. „Stupid” heißt die Nummer.

Bobby Womack ist zurückgekehrt. Damon Albarn, für den Womack auf dem letztem Gorillaz-Werk gesungen hat, und der Chef von XL-Recordings, Richard Russell, haben ihm ein Album produziert: „The Bravest Man In The Universe”. Richard Russell, auf dessen Label auch Adele veröffentlicht, hat 2010 auch Gil Scott-Heron ein würdiges, und wie sich zeigte, letztes Album produziert.
Der mutigste Mann im Universum, lässt Womack seine Stimme zum einsamen Cello leuchten, sei der, der das erste Mal vergeben habe. Ein Schock, als der elektronische Beat zu pumpen anfängt. Aber als Bobby beginnt, seine „Story” zu erzählen, ist klar, dass das hier nicht vom Ruhm der Vergangenheit zehren wird. Das hier wächst über zehn Songs zu einem Album, das einem den Glauben zurückgibt, dass man ausgehend vom einzig wichtigen Menschenthema, der Liebe, diese Welt mit Soul auch heute noch neu erzählen kann.

Mit „Jubilee Don’t Let Nobody Turn You Around”, der technofizierten Scherzversion eines Countrygospel, riskiert Womack als letzte Nummer, dass ihn alle Stilpuristen in die Hölle wünschen. Erlauben kann und muss sich das der Inhaber dieser erhabenen Stimme, die das Leben nicht erledigen konnte. Anfang der 60er schrieb Womack „It’s All Over Now” und tobte, als die Rolling Stones mit einer Coverversion durch die Decke schossen. Dann kamen die Schecks.

Nur drei Monate, nachdem man seinen musikalischen Ziehvater Sam Cooke in einem Motel in L.A. erschossen hatte, heiratete er dessen Witwe Barbara Campbell. Womacks erster Sohn brachte sich mit 21 um. Sein zweiter Sohn starb als Kleinkind. Und Womack kokste sich durch weite Teile der 70er. Tarantinos Film „Jackie Brown” machte ihn mit seinem Song „Across 110th Street” viel zu spät aber wirkungsvoll zum Blaxploitationhelden.

Das nur als winziger Einblick in ein Leben, das einem die Nostalgie austreibt – und in Womacks Fall noch einmal zu einer Platte wie dieser führt. Die polarisierende Lana Del Rey gibt „Dayglo Reflection” einen frostigen Soul. In „Please Forgive My Heart” und „Sweet Baby Mine” reißt die scharfkantige Stimme Womacks Löcher in die Seele, während die Elektronik als Entzündungshemmer funktioniert.

Einzig „Deep River” verlässt sich ganz auf Bobby und eine akustische Gitarre. Gospel als Hoffnung ohne Sicherheit, dass es auf der anderen Seite besser wird. Wegen einer Lungenentzündung kam Womack unlängst ins Krankenhaus. Die unerwartete Diagnose: Verdacht auf Krebs. Das Geschwür stellte sich als gutartig heraus. Die andere Seite soll warten.

Bobby Womack: „The Bravest Man In The Universe” (XL / Beggars Group)

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