Der Münchner Schriftsteller Robert Hültner über sein Buch „Tödliches Bayern“

Rücksichtsloser Überlebenstrieb: Der Münchner Krimiautor Robert Hültner erzählt in seinem Buch „Tödliches Bayern“ psychologisch spannend acht historische Kriminalfälle nach und transportiert dabei viel Zeitkolorit
von  Volker Isfort

Rücksichtsloser Überlebenstrieb: Der Münchner Krimiautor Robert Hültner erzählt in seinem Buch „Tödliches Bayern“ psychologisch spannend acht historische Kriminalfälle nach und transportiert dabei viel Zeitkolorit

Acht außergewöhnliche Kurzkrimis präsentiert der Münchner Autor Robert Hültner in seinem Buch „Tödliches Bayern“. Der Erfinder des Inspektors Kajetan, ein Ermittler im turbulenten München der 1920er Jahre, hat nun reale Fälle aus zwei Jahrhunderten recherchiert und zu packenden Zeitporträts verarbeitet: Ein Pfarrer und Schwerenöter in auswegsloser Lage, eine Schauspielerin mit Drang zum gesellschaftlichen Aufstieg, ein in Kinematographenträume verstrickter Jugendlicher – äußerst anregende Lesevergnügen mit tödlichem Ausgang.

AZ: Herr  Hültner, Sie sehen die Motive für Verbrechen auch im historischen Kontext. Sind aber Liebe, Eifersucht und (Geld)gier nicht immer schon die Hauptmotive gewesen?

ROBERT HÜLTNER: Vordergründig sicherlich. Aber hinter all der Jagd nach Geld und Macht, Liebe und Sexualität steht ein tiefer liegendes Motiv, nämlich das der Sicherung der eigenen Existenz, der Ur-Drang, zu überleben. Je gravierender Katastrophen, soziale Umbrüche oder Krisen ausfallen und existenzielle Ängste auslösen, desto rücksichtsloser aktiviert sich der Überlebenstrieb beim Einzelnen. Einem Angehörigen der vermögenden und gebildeten Schichten stehen geeignetere Mittel zur Verfügung als einem, der kaum mehr als das Hemd am Leib hat. Kurz: Auch das niederträchtigste und primitivste Verbrechen dient zu nichts anderem, als die Angst um das eigene Überleben zu bewältigen.

Wie sind Sie auf die Fälle aus den verscheidenen Jahrhunderten gestoßen?

Da ist einmal nichts als die pure Neugier darauf, was zwischen Menschen möglich ist. Wenn man außerdem mit einem derartigen Buchvorhaben schwanger geht, wandert man eh mit ausgestellten Antennen durchs Leben. Die einschlägigen staatlichen Archive waren dabei jedoch weniger hilfreich, da aus ihnen immer nur das behördliche Interesse spricht, also das Interesse der sozialen Lenkung, der Aburteilung im Vordergrund steht. Viel ergiebiger waren für mich Tagebücher, Gespräche mit Zeitzeugen, Memoiren von Tat- oder Prozessbeteiligten.

Sie sind der Historiker unter den deutschen Krimiautoren. Finden Sie es schlicht spannender, Ihre Geschichten in der Vergangenheit anzusiedeln?

Diese Frage treibt mich immer wieder um. Eine Antwort könnte sein, dass ich mit dem Impuls zu schreiben begonnen habe, speziell die bayerische Geschichte mit all ihren Widersprüchen genauer zu untersuchen. Von daher war es fast logisch, dass ich mich auf die erste Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts konzentriert habe, auf eine Epoche also, in der dieses Land und seine Kultur wie selten zuvor umgestülpt worden sind. Ein anderer Grund ist auch, dass es durch einen zeitlichen Abstand leichter ist, die jeweilige Fabel einer Geschichte klarer zeichnen zu können. Ich habe aber beim Schreiben nie das Gefühl, eine „historische“ Person darzustellen. Die Grundzüge menschlichen Verhaltens waren und sind die gleichen. Immer wieder hat mich fasziniert, wie sehr in uns „modernen Menschen“ das nachwirkt, was frühere Generationen geschaffen haben, im Guten wie im Schlechten.

Wie wichtig ist Ihnen die historische Genauigkeit der Ermittlungsarbeit?

Da ich mich bei meinen Fall-Erzählungen hauptsächlich auf die sozialen und psychologischen Motive der Handelnden konzentriert habe, stand das nicht im Vordergrund. Aber natürlich, die Grundzüge müssen stimmen, weil sie die Dynamik des jeweiligen Falles mit begründen. Doch da zeigte sich wieder, dass auch beim Einsatz raffiniertester polizeilicher Methoden oft letztlich die absurdesten Zufälle ausschlaggebend waren, um einen Fall lösen zu können. Weltbewegende Erkenntnisse haben diese Recherchen auch nicht ergeben – die Kriminaltechnik hat sich mit geringer Verzögerung der zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Möglichkeiten bedient.

Waren Verbrechen damals „einfacher“, weil die Polizeiarbeit noch nicht so weit fortgeschritten war?

Ein großer Irrtum. Vielleicht verliefen die Ermittlungsprozesse vor hundert Jahren gemächlicher als heute, und im 19. Jahrhundert gab es noch das eine oder andere Schlupfloch, etwa durch die Flucht in ein anderes Land. Aber dafür war in früheren Zeiten die soziale Kontrolle effektiver. Ein flüchtiger Verbrecher etwa konnte sofort als verdächtiger „Fremder“ identifiziert werden, Angehörige des kriminellen Subproletariats waren schon an ihrer Kleidung und ihren Attitüden leichter erkennbar. Und es gibt die Aussage eines behäbigen Dorfgendarmen, der auf die Frage, warum er nicht gefälligst Jagd auf einen wegen eines Eifersuchtsmordes Gesuchten mache, sagte: „Ich kann’s erwarten, der Hunger treibt ihn wieder zu seinen Leuten.“ Außerdem gab es in Gegenden, in denen das staatliche Gewaltmonopol noch nicht optimal griff, auch noch tradierte Formen einer Art Volksjustiz, bei denen die Betroffenen ihre Angelegenheiten „unter sich“ regelten, und das manchmal unbarmherziger als die staatliche Justiz.

Robert Hültner: „Tödliches Bayern“ (btb, 350 Seiten, 19.99 Euro)

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