Der Mensch will erkannt werden

Im Stadtmuseum blickt Herlinde Koelbl auf 30 Jahre Fotografie zurück. Mit der AZ sprach die Porträt-Spezialistin über die Macht der Geduld, Entlarvungen und ihre markante Frisur
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Im Stadtmuseum blickt Herlinde Koelbl auf 30 Jahre Fotografie zurück. Mit der AZ sprach die Porträt-Spezialistin über die Macht der Geduld, Entlarvungen und ihre markante Frisur

Die Mächtigen vertrauen ihr. Und selbst die Unnahbaren beginnen, sich zu öffnen. Herlinde Koelbl hat eben Zeit. Und ein einfühlsames Auge. Für ihre Porträts wird sie international gefeiert. Im Stadtmuseum ist nun ihre umfassende Werkschau aus dem Berliner Gropiusbau – neu gruppiert – zu sehen. Die AZ traf die zierliche Fotografin mit den roten Locken kurz vor der Eröffnung.

AZ: Die Menschen offenbaren Ihnen oft sehr Intimes. Würden Sie sich einer Herlinde Koelbl aussetzen?

HERLINDE KOELBL: Ach, ich denke die Herlinde Koelbl ist ein ganz sympathisches Wesen.

Aber Sie scheinen niemand zu sein, der vor die Kamera will.

Das ist eine Entscheidung.

Was machen Sie eigentlich, um die Leute zu knacken?

Das kann man nicht wirklich sagen. Sich gut vorbereiten, das ist wichtig. Sich dem anderen mit Empathie annähern. Geduld. Und ich habe immer wieder festgestellt, dass man auch etwas geben muss, dann kommt etwas zurück. Wenn eine Begegnung gut war, gibt es diese glücklichen Momente der Erfüllung. Die Menschen sollen hinterher das Gefühl haben, es war sehr schön.

Zeigen sich Ihnen nicht oft auch Dinge, die man lieber nicht sehen möchte? Wo man sich womöglich wie ein Voyeur vorkommt?

Solche Situation habe ich nie erlebt. Meine Arbeit basiert ganz stark auf Vertrauen. Wenn die Menschen den Eindruck haben, sie können mir vertrauen, öffnen sie sich mehr. Menschen wollen ja auch gerne in ihrem Wesen erkannt werden. Dazu muss man ganz auf den anderen eingehen, das eigene Ego völlig zurücknehmen.

Wann werden Sie ungeduldig?

Selten.

Sie lächeln schon wieder so freundlich. Aber bei Ihren Langzeitprojekten darf man eh nicht auf die Uhr schauen.

Nein, da müssen Sie einen langen Atem haben und eine Vorstellung von dem, was Sie erreichen möchten. Man muss den großen Zusammenhang sehen und dann auf das Individuelle eingehen.

Befreundet man sich eigentlich auch mit manchen „Langzeit-Kandidaten“?

Ja, bei den jüdischen Porträtierten war ich mit etlichen befreundet, bis zu ihrem Tod. Man schätzt sich mit der Zeit einfach.

Die Arbeit an den jüdischen Porträts war das Einschneidendste in Ihrem Fotografenleben, haben Sie gesagt. Was war so außergewöhnlich?

Diese Menschen waren wirkliche Persönlichkeiten, sie haben mich durch ihre Weisheit beeindruckt. Sie sind auch nicht bitter gewesen, sie haben nicht gehasst – bis auf wenige vielleicht. Alle, die ich porträtiert habe, waren alt, aber trotzdem jung, auch humorvoll und sehr natürlich. Dabei hatten alle doch ein tragisches Schicksal. Dass sie das so verarbeitet haben, hat mich schon beeindruckt.

Sind Sie nach Ihrer langen Beschäftigung mit Politikern und Wirtschaftsbossen desillusioniert? Oder haben Sie mehr Verständnis?

Ich würde es anders sagen: Ich habe sehr viel gelernt über Macht. Über Machtspiele und Machterhalt.

Und die Wirtschaftsbosse?

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Politik und Wirtschaft. Politiker müssen extrem extrovertiert sein, sich täglich verkaufen, um wieder gewählt zu werden. Und in der Wirtschaft steht immer die Firma im Vordergrund. Der Vorstand hinter dem Namen wechselt, die Allianz oder was auch immer bleibt. Für die Wirtschaft gilt das Prinzip, sich nicht so in den Vordergrund zu spielen.

Erleben Sie es, dass Menschen in der Öffentlichkeit ein komplett anderes Bild von sich abgeben, als Sie es vorfinden?

Das kann ich so nicht sagen. Denn ich arbeite ja nicht journalistisch.

Sie arbeiten immer mit dem Einverständnis der Menschen?

Ja.

Aber bei den entlarvenden High-Society-Fotos dürfte das anders gewesen sein.

Das waren öffentliche Anlässe und ich war ganz korrekt akkreditiert. Diese Menschen wussten, dass sie fotografiert werden können. Und wenn ich bei einem öffentlichen Anlass auftrete, muss ich natürlich überlegen ...

...wie ich mich schnäuze. Oder was aus meinem Dekolleté schwappt.

Ja.

Wo fängt da die Gesellschaftskritik an?

Ich beginne kein Projekt, um Gesellschaftskritik zu üben. Das wäre zu kurz gedacht.

Aber mit den geschlachteten Schafen Ihrer Opfer-Serie stoßen Sie einiges an.

Heute kann man im Supermarkt abgepacktes Fleisch kaufen. Wie soll da einen Bezug zum Tier entstehen? Früher waren Tiere Teil des Lebensraums. In einer Ausstellung mit den Opfer-Bildern regte sich eine Besucherin neben mir auf, wie die Fotografin nur so was Grausames fotografieren könne. Ich frage sie: „Essen Sie Fleisch?“ Und sie darauf: „Ja, warum?“

Sie hat nichts kapiert.

Nein, nichts. Es geht aber nicht nur um das Töten des Tieres. Diese Bilder nehmen auch Bezug auf den kulturellen Hintergrund, den das Opfer immer hatte. Zur Befriedung von Gewalt – in einem Ritual. Diese atavistischen Gebräuche sind noch da. Und die christliche Ikonografie ist voll davon.

Apropos Ikonografie. Sie sind ja quasi Haar-Expertin, haben eine große Serie zum Thema Haare gemacht. Was sagt uns Ihre Frisur? Gesine Schwan trägt dieselbe.

Meine war vorher da. Meine Haare sind da seit ewigen Zeiten und die Frisur ist da seit ewigen Zeiten.

Wirklich keine Ikonografie?

Nee.

Christa Sigg

Bis 10. April im Stadtmuseum, Katalog 28 Euro

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.