Der Meister des Zweifelns
Entfesselte Assoziations-Lust zwischen Entspannung und Schrecken: Das Haus der Kunst präsentiert Gerhard Richters „Abstrakte Bilder“
Es ist wie verhext: Man will auf Gerhard Richters Werken unbedingt etwas erkennen, aber ob man extrem nah dran oder weit weg steht, der „Meister des Zweifelns“ hindert uns daran – und zwar auf den nach Fotografien entstandenen Gemälden ebenso wie in den abstrakten Bildern. Und gerade auch mit dieser Verweigerung von Eindeutigkeit wurde Gerhard Richter, der am 9. Februar seinen 77. Geburtstag feierte, zum berühmtesten deutschen Maler der Gegenwart – der zuletzt 2008 auf dem internationalen Kunstmarkt Spitzenpreise bis zu 10,5 Millionen Euro erzielte.
Jetzt hat sich Kurator Ulrich Wilmes der auf den ersten Blick wahnwitzigen Aufgabe verschrieben, ausschließlich gegenstandslose Werke von Gerhard Richter in einer Ausstellung zu präsentieren. Zu sehen war die Schau bereits im Kölner Museum Ludwig, jetzt macht sie im Haus der Kunst Station. Da finden sich über 60 abstrakte Bilder von großenteils gewaltigem Format sowie rund hundert kleine, knallbunte Hinterglas-Täfelchen.
Nuancierte Farb-Schauspiele
Und das Erstaunliche ist, dass diese Zusammenschau auch ohne den Gegenpart von Richters Menschenbildern (die zeitgleich auch in London gezeigt werden) absolut spannend ist. Die große Abstraktion wirkt mal aufregend, mal erschreckend, mal entspannend – Richters Gemälde lösen in jedem Fall starke Empfindungen aus. Das Erbsgrün aus „Abstraktes Bild“ von 1996 etwa wirkt gewitterschwül-aufwühlend, das Schwarzweiß der beiden fein ziselierten „Uran“-Bilder kalt-bedrohlich. „Es ist angenehm, Titel zu haben“, erklärt Richter. Das hilft der entfesselten Assoziations-Lust noch ein bisschen auf die Sprünge.
Die nuancierten Farb-Schauspiele bestehen stets aus vielen Schichten, die Farben werden mit Hilfe von Pinsel, Spachtel, Rakel aufgetragen und mehrfach wieder abgekratzt. So entsteht eine monumentale Struktur aus fahrigen Linien, durchbrochenen Flächen, feinnervigen Schlieren.
Da liegen leuchtendes Rot, Blau, Grün und Gelb in permanentem Widerstreit mit Grautönen in allen Schattierungen – ein fast archaischer, elementarer Kampf. Das hat synästhetische Qualität und erinnert nicht nur in den Serien „Bach“ (1992) und „Cage“ (2006) an visualisierte Musik.
Zwingt zur Genauigkeit des reinen Wahrnehmens
Richter selbst erklärte einmal: „Mein Verhältnis zur Wirklichkeit hat etwas zu tun mit Unschärfe, Unsicherheit, Flüchtigkeit.“ Darum war die Interpretation von Richters 15 Bildern der toten RAF-Terroristen (1988) so heikel, wurde der Maler für seine verschwommene deutsche Historienmalerei von links wie von rechts angefeindet. Heute gehören sie dem MoMA in New York. Und Richters treffsichere Unschärfe gilt in Zeiten allgemeiner Verunsicherung plötzlich als geradezu prophetische Hellsichtigkeit.
Tatsache ist, dass gerade Richters abstraktes Werk den Betrachter zur Genauigkeit des reinen Wahrnehmens zwingt. Wenn es gut läuft, entsteht daraus ein tieferes Sehen. Und auch, wenn dem knorzig-schmallippigen Künstler verbal scheinbar alles Salbungsvolle fremd ist: Dass in seiner Kunst eine transzendierend-spirituelle Kraft steckt, will er nicht leugnen. Da wird die Leinwand zu einer Oberfläche, die wie das Wasser sowohl die Umgebung zu reflektieren scheint als auch Einblicke in die Tiefe des Bildraumes suggeriert.
Roberta De Righi
Bis 17. 5., Di – So 10 bis 20, Do bis 22 Uhr, Katalog 49.80 Euro
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