Der letzte Patriarch
Er starb mit 90 Jahren im Beisein seiner Tochter: Mit dem Geschick des Handwerkers, der Weitsicht eines Kaufmanns und der Leidenschaft eines Künstlers diente Wolfgang Wagner dem Werk seines Großvaters.
Er hatte den Mut, einem jungen französischen Regisseur zum 100. Jubiläum der Festspiele den „Ring des Nibelungen“ anzubieten. 1973 nahm er gegen wütende Proteste Götz Friedrichs „Tannhäuser“ in Schutz und blieb hartnäckig auf dem eingeschlagenen Kurs: Wenig später verwandelte Harry Kupfer den „Fliegenden Holländer“ in einen atemberaubenden Psychothriller.
Die siebziger Jahre waren Wolfgang Wagners große Zeit. Er setzte das Regietheater auf dem Grünen Hügel durch. Sein umstrittenes Erfolgsrezept war es, auf den frischen Blick von Wagner–Neulingen wie Heiner Müller („Tristan“) oder Christoph Schlingensief („Parsifal“) zu setzen. Die anfangs am stärksten angefeindeten Aufführungen wurden zu Klassikern. Obwohl es in Bayreuth zum guten Ton gehört, einer besseren Vergangenheit nachzutrauern, giert jedes Jahr einen halbe Million Menschen nach den etwa 58000 verfügbaren Karten.
Was Wolfgang Wagner in Gesprächen über die Gestalten der Opern seines Großvaters zu sagen wusste, ähnelte den mythenkritischen Arbeiten junger Regisseure mehr, als seine 12 biederen Inszenierungen im Festspielhaus vermuten ließen. Er soll aber immer davon geträumt haben, irgendwo Giacomo Puccinis Cowboy-Melodram „La fan- ciulla del West“ herauszubringen. Die größte Begabung des Komponisten-Enkels war jedoch die hausväterliche Wahrung der Macht. Mit Blick auf den Karrierewert eines Bayreuth-Auftritts knauserte er bei Sänger-Gagen. Sein Verbot, während der Proben auswärts zu gastieren, sicherte die szenische Qualität der Aufführungen, sorgte aber für Krach mit der einen oder anderen Primadonna.
In Bayreuth galt er als volkstümlicher Mann, der seinen fränkischen Dialekt nie verleugnete. Der tragikomische Streit um die Nachfolge verdunkelte im vergangenen Jahrzehnt Wolfgang Wagners Verdienste. Noch auf Adolf Hitlers Schoß gesessen zu sein, hatte ihm kaum geschadet. In seinen Memoiren „Lebens-Akte“ ging er damit vergleichsweise offensiv um. Im Gegensatz zu seiner Mutter Winifred und nicht wenigen Wagnerianern war er kein Nostalgiker der Tausend Jahre.
Geboren wurde Wolfgang Wagner am 30. August 1919 als drittes Kind des Komponisten-Sohnes Siegfried und seiner aus England stammenden Frau Winifred in Bayreuth. Für Adolf Hitler waren die Wagners eine Art Ersatzfamilie. Der „Führer“ soll jedoch mehr an seinem Bruder Wieland interessiert gewesen sein. „Allerdings hat er mich auch einmal besucht: 1939, als ich mit einer Kriegsverletzung in der Berliner Charité lag“, sagte Wolfgang Wagner dazu.
Nach einer musikalischen Ausbildung sammelte er erste Theatererfahrungen an der Berliner Staatsoper. Dort debütierte er 1944 als Regisseur mit der Oper „Andreasnacht“ seines komponierenden Vaters. 1951 wagte er mit dem Bruder Wieland den schwierigen Neuanfang der Festspiele. Die beiden schienen sich perfekt zu ergänzen: Wieland als genialer Regisseur, Wolfgang als geschickter Organisator. Tatsächlich waren ihre beiden Familien heillos zerstritten.
Der frühe Tod seines brüderlichen Rivalen machte Wolfgang Wagner 1966 zum Alleinherrscher auf dem Grünen Hügel. Nach der Heirat mit seiner Sekretärin Gudrun Mack drängte er die eigenen Kinder aus erster Ehe und alle Nachkommen des Bruders aus der Festspielleitung, die ihm gegen jede Vernunft 1987 auf Lebenszeit übertragen wurde.
In seiner Ära wurde das Privattheater in eine verschachtelte Stiftung verwandelt, die nur der allmächtige Patriarch durchschaute.
Die Stimmung blieb familiär: Noch vor vier oder fünf Jahren überquerte er jeden Vormittag zur Festspielzeit die Straße zwischen seiner Villa und dem Wagnertheater. Vor dem Andenkenladen schüttelte die lebende Legende den Leuten die Hand und ließ sich mit Kindern fotografieren. Zuletzt wurde er nur noch rituell vorgezeigt wie der späte Johannes Paul II. Die eigentliche Macht lag bei seiner Frau Gudrun und der gemeinsamen Tochter Katharina. Wegen der Stiftungs-Konstruktion durfte dies jedoch nicht offen zugeben werden.
Nach Gudrun Wagners plötzlichem Tod im November 2007 wurde eine Regelung der Nachfolge unumgänglich. Der Patriarch versöhnte sich mit der verstoßenen Tochter Eva. Sie kandidierte gemeinsam mit ihrer jüngeren Halbschwester Katharina. Die beiden setzten sich im Stiftungsrat der Festspiele gegen die Wieland-Tochter Nike durch. Schließlich kündigte Wolfgang an, zu Gunsten seiner beiden Töchter zurückzutreten.
Nach der Rettung der vom demokratischen Steuerzahler alimentierten Wagner-Monarchie nahm der Patriarch am Ende der Festspiele 89-jährig in einer bewegenden Feier auf der Bühne des Theaters Abschied. Selbst Christoph Schlingensief, der auf dem Grünen Hügel 2004 den „Parsifal" durchkämpfte, gab sich nach dem Abgang des „fürsorglichen und guten Hausvaters“ milde: „Ich werde Wolfgang Wagner als liebenswerten Patriarchen in Erinnerung behalten, erstaunlich besessen, erstaunlich tolerant.“ Nun ist der pflegebedürftige Wolfgang Wagner im Alter von 90 Jahren im Beisein seiner Tochter in der Villa neben dem Festspielhaus eingeschlafen. Eine offizielle Trauerfeier ist geplant, die Beisetzung wird im engsten Familienkreis stattfinden.
Robert Braunmüller
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