Der kultivierte Kranke
Der genaue Geburtstag von Chopin ist umstritten, aber er kam wohl am 22. Februar 1810 zur Welt. Zwei neue Bücher widmen sich dem Leben des Komponisten, der fast nur für Klavier schrieb.
Sein Herz musste zurück in die Heimat. Das hatte sich Fryderyk Franciszek Chopin unbedingt gewünscht. Also machte sich Ludwika, seine Schwester, mit der ungewöhnlichen Fracht auf nach Polen. Gleich nach dem Begräbnis auf dem legendären Pariser Friedhof Père Lachaise. Eingelegt in Cognac war es, das schwindsuchtgepeinigte, heftig angegriffene Herz, und tatsächlich klingt diese letzte Episode aus dem (Ab-)Leben des 1849 mit nur 39 Jahren verstorbenen Künstlers wie aus einem schlechten Roman.
Eva Gesine Baur beendet damit ihre Biografie „Chopin oder die Sehnsucht“ und hätte kein passenderes Bild für die von Heimweh gebeutelte Vita, das Leiden dieses kultivierten Kranken finden können. Nicht erst die Nachwelt hat sich immer schon mehr für die Person des so sinnlichen Klang-Lyrikers, als für sein Werk interessiert. Und dem Reiz, das Schaffen Chopins als Dokument seiner Befindlichkeiten zu deuten, erliegt leider auch diese Autorin.
Ein Pole in Frankreich
Natürlich, die Geschichte ist ja zu rührend. Da verlässt ein 19-jähriger, hochtalentierter Musiker sein wohlbehütetes Elternhaus, weil die Möglichkeiten für einen Klaviervirtuosen in Warschau begrenzt sind. Und kann nie mehr in die Heimat zurück. Angeblich wegen der Revolution. Doch mit den Erfolgen im mondänen Paris stieg auch das Phlegma. Zu komfortabel war dieses Leben geworden mit all den Soireen, den feinen Handschuhen, Gehröcken und Riechwässerchen.
Französisch sprach Chopin nur mit starkem Akzent – am liebsten scharte er polnische Exilanten um sich –, doch es fand sich immer eine sorgende Seele. Selbst George Sand, die zigarrenschmauchende Geliebte in Männerhosen, drängt sich in die Mutterrolle, nennt ihn „mein lieber Leichnam“. Und hegt den chronisch Unentschlossenen Chop-Chop zehn Jahre lang, aufopfernd, bis dem emanzipierten Weibsbild wieder nach Abwechslung ist. Damit geht auch die Maladie rasch ihrem Ende zu, die Tuberkulose lässt sich nicht mehr therapieren. Und bis heute dominiert die Vorstellung vom todkranken, tief melancholischen Musicus, der in intimer Runde oft am Flügel saß, aber nur 30 Konzerte geben konnte.
Psychokiste
Aus Lampenfieber, aber egal. In erster Linie war er Komponist. Penibel, voller Perfektionsdrang feilte er an der Struktur seiner Scherzi, Balladen, Nocturnes. Bach war der große Lehrmeister. Sämtliche seiner Präludien und Fugen spielte er aus dem Gedächtnis. Die Musik der Zeitgenossen interessierte ihn kaum, obwohl er mit Liszt gut bekannt war. Adam Zamoyski fächert das in seinem Band „Chopin. Poet am Klavier“ mit dezentem Sinn für allzu Zwischenmenschliches auf. Überhaupt besticht diese Biografie durch ihre Klarheit, den reichen Anmerkungsteil und den gelassenen Ton.
Eva Gesine Baur greift dagegen allzu beherzt in die Psychokiste, das Seelenleben wird zum Leitmotiv. Wären nicht diese ständigen Suggestiv-Fragen („Glaubt George, dass diese Bewunderung sein erotisches Verlangen bereits stillt?“), könnte man sich fast lustvoll auf diesen süffigen Stoff einlassen.
Christa Sigg
Eva Gesine Baur: „Chopin oder die Sehnsucht“ (Beck); Adam Zamoyski: „Chopin. Der Poet am Klavier“ (Bertelsmann)
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