Der große Blonde mit der hohen Stimme
MÜNCHEN - Er ist der Podolski des Barock: Jörg Waschinski sang im spärlich besetzten Herkulessaal. Just während des EM-Auftakts gab er sein München-Debüt.
Hohe Männerstimmen verschrecken heute keinen mehr. Selbst am viel zitierten Stadttheater geben sich die Herren Countertenöre die Klinke in die Hand – wenn denn mal Barockes auf dem Plan steht. Die Lage drüber ist allerdings eine echte Rarität, nach Sängern, die ohne den Einsatz von Folterwerkzeugen das dreigestrichene C erklimmen, muss man schon suchen. Jörg Waschinski zählt zu dieser seltenen Spezies – im spärlich besetzten Herkulessaal gab der Sopranist just während des EM-Auftakts sein München-Debüt.
Tatsächlich würde der große Blonde, Typ sonnengebräunter Sportskamerad, auch gut in unsere smarte Fußball-Elf passen. Und wenn der Schein nicht trog, war da noch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Torjäger Lukas Podolski auszumachen. Also führten Optik und Klang zu völlig diametralen Eindrücken. Denn gleich bei den ersten Arien aus Händels „Saul“ flossen die Spitzentöne. So gar nicht irdisch klang das, und die Vorlieben besorgt-prüder Kleriker des Barock wurden evident wie selten.
Allein: Waschinski neigt dazu, mit angezogener Handbremse zu singen. Und auf der Koloraturen-Achterbahn wird die eine oder andere Station gerne mal verschluckt. Rasantes machte hörbare Mühen – auch wenn sich die Kleinformation des Orchestra of the Age of Enlightenment (ein Lichtblick!) äußerst flexibel gab. Waschinskis Stimme schien wenig modulationsfähig, dazu ließ die Intonation in der Sparflamme des Gefechts („Crude furie degl’orridi abissi“ aus dem „Xerxes“) zu wünschen übrig.
Getragenes ist dagegen ganz seine Sache, da entfaltet sich ein schillernd-schönes Timbre, mit dem Signore Soprano mindestens Herzklappen und Magengruben touchieren kann. Für die Volltreffer sorgt dann doch eher sein Double Lukas P.
Christa Sigg
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