„Der größte Blick der Liebe ist tödlich“

Salzburger Festspiele: Regisseur Dieter Dorn über seine Inszenierung von Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“, die revolutionären Seiten dieser Oper, die Unterwelt und Hosenrollen
von  Abendzeitung

Salzburger Festspiele: Regisseur Dieter Dorn über seine Inszenierung von Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“, die revolutionären Seiten dieser Oper, die Unterwelt und Hosenrollen

Bei Mozarts „Idomeneo“ zur Wiedereröffnung des Cuvilliés-Theaters entschied sich Dieter Dorn für die Wiener Fassung, weil darin keine Hosenrolle vorkommt. Nun inszeniert er bei den Salzburger Festspielen Christoph Willibald Glucks Oper „Orfeo ed Euridice“. Auch hier wird die für einen Kastraten komponierte Titelrolle heute üblicherweise von Frauen dargestellt.

AZ: Herr Dorn, haben Sie Ihren Frieden mit den Hosenrollen geschlossen?

DIETER DORN: In Glucks Oper gibt es sogar zwei davon. Aber es ist leichter als in „Idomeneo“: Amor changiert als androgynes Wesen zwischen Mann und Frau. Orfeo ist ein Künstler. Wie jeder gute Künstler hat er zu 50 Prozent männliche und weibliche Eigenschaften. Insofern ist das Geschlecht nicht so wichtig.

Warum ist Orfeo nach Euridices Tod so untröstlich?

Sie ist zugleich seine Frau und Muse. Ohne sie produziert er nichts mehr. Weil die Götter finden, dass die Welt ohne Klang und Musik nicht existieren kann, erlauben sie ihm, Euridice aus der Unterwelt zurückzuholen.

Allerdings darf er sie nicht ansehen.

In dieser Situation komponierte Gluck eine Art Strindberg. Orfeo und Euridice zerfetzen sich total, bis er sie anschaut. Dann stirbt sie zum zweiten Mal. Im Moment der höchsten Liebe kommt der Tod. In allen Mythen, die ich kenne, ist das die gewaltigste Stelle: Dass der größte Blick der Liebe tödlich ist.

Trauen Sie der von Amor gestifteten glücklichen Wendung?

Der Schluss ist nur scheinbar konventionell. Hier wird Gluck revolutionär, weil er in die aristokratische Kunstform der Oper bürgerliche Ideen einbrechen lässt: Liebe lässt sich nur durch tägliche kleine Bemühung erhalten – eine sehr menschliche Wendung.

Wie finden Sie die umstrittene Ouvertüre?

Sie ist nur scheinbar konventionell in klarem C-Dur geschrieben. Wir wollen zeigen, wie Orpheus auf dem Höhepunkt seiner Karriere vom Tod Euridices getroffen wird. Sie stirbt in seinen Armen. Beim Schlusschor stellen sich die Figuren wie in Mozarts „Così“ an die Rampe und sagen gleichsam: „Schaut uns nicht so blöd an von da unten, wir wissen auch keinen Ausweg.“

Wie stellen Sie die Unterwelt dar?

Den Hades denke ich mir als amorphe Masse, wie wenn man einen Stein hochhebt und es sind Würmer darunter. Orfeos Gesang, aber auch seine Argumente formen sie zu einem Konzertpublikum. Aber Jürgen Rose und ich machen das natürlich nicht vordergründig, sondern aus einer theatralen Null-Situation heraus und weiten den Mythos hin zur Realität.

Haben Sie Angst vor dem Großen Festspielhaus?

Dass die Aufführung auf dieser unendlich großen Bühne stattfindet, ist leider dem Kommerz geschuldet. Aber wir haben das Portal dieser Riesenbühne verengt und den 50-köpfigen Chor durch die gleiche Zahl an Bewegungs-Statisten vermehrt.

Der Dirigent Riccardo Muti gilt im Umgang mit Regisseuren als schwierig. Was sind denn Ihre Erfahrungen?

Wir haben ihm unser Konzept mit Fotos des Bühnenbildmodells vorgeführt. Er hatte ein paar Einwände. Leider haben viele Dirigenten zu wenig Vertrauen in die Kraft der Bühne. Gluck sah das übrigens genau umgekehrt: Er nannte den „Orfeo“ nicht Oper, sondern „Azione teatrale per musica“, also eine Darstellung mit Musik.

Robert Braunmüller

Premiere heute, Samstag, 19.30 Uhr, Salzburg, Großes Festspielhaus. Restkarten für den 3., 19., 21. und 24. August unter Tel. 0043-662-8045-500

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