Der älteste Regisseur der Welt wird 100

Andere Menschen seines Alters genießen ihren Lebensabend, der Portugiese Manoel de Oliveira dreht Filme. Für sein Alter möchte der Regisseur aber nicht bewundert werden. Dafür sei er nicht verantwortlich.
von  Abendzeitung

Andere Menschen seines Alters genießen ihren Lebensabend, der Portugiese Manoel de Oliveira dreht Filme. Für sein Alter möchte der Regisseur aber nicht bewundert werden. Dafür sei er nicht verantwortlich.

An seinem 99. Geburtstag kündigte er an, weiter Filme drehen zu wollen. Und Manoel de Oliveira, der am 11. Dezember 100 Jahre alt wird, hat Wort gehalten: Zwei neue Werke des portugiesischen Regisseurs sollen 2009 uraufgeführt werden. Bei der Biennale in Venedig präsentierte er bereits seine siebenminütige Komödie «Vom Sichtbaren zum Unsichtbaren».

Oliveira ist der älteste noch aktive Filmregisseur, nicht nur unserer Zeit, sondern der Filmgeschichte überhaupt. Etwas resigniert stellte er kürzlich fest: «Ich werde mehr bewundert für mein Alter als für meine Filme, für die ich aber, seien sie nun gut oder schlecht, die Verantwortung trage. Ich bin nicht verantwortlich für mein Alter.» Seine Regiekarriere dauert nun schon 77 Jahre. Der aus einer Industriellenfamilie stammende Oliveira begeisterte sich schon früh für das Kino und drehte 1931 seinen ersten Film, den kurzen, noch stummen Dokumentarfilm «Harte Arbeit am Fluss Douro». Es ist eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt Porto im Norden Portugals, in der er aber auch die sozialen Gegensätze im damaligen Portugal darstellte.

Pause während der Diktatur

Das war keine gute Visitenkarte für die 1932 beginnende Militärdiktatur von António de Oliveira Salazar. Bis 1974, als sich mit der «Nelkenrevolution» die Demokratie in Portugal durchsetzte, konnte Oliveira nur wenige meist kurze Filme drehen. Von 1942 bis 1956 gab es sogar eine Pause von 14 Jahren. Oliveira, früher auch Zirkusartist und Rennfahrer, führte in dieser Zeit mit seiner Frau zusammen ein Weingut, das sie geerbt hatte. Immerhin entstand schon 1971 sein erstes Hauptwerk «Vergangenheit und Gegenwart». Zusammen mit «Benilde, Jungfrau und Mutter» (1975), «Das Verhängnis der Liebe» (1979) und «Francisca» (1981) entstand ein Zyklus über die Liebe, die sexuelle und die seelische. Doch ging es in den Filmen weniger um die Erfüllung, als um die Grausamkeiten und Perversionen der Liebe. Nur im Tod kann sich die Liebe erfüllen.

Mehr als Sex

In diesen Zusammenhang gehört auch der bekannteste Film Oliveiras, «Am Ufer des Flusses» (1993), eine moderne «Madame-Bovary»-Version, frei nach Gustave Flauberts Roman. Oliveiras Ema sucht wie ihr literarisches Vorbild in der Liebe mehr als Sex, nämlich Romantik, Poesie, Zauber. Wahrscheinlich aber Liebe nur sich selbst. Wenn sie am Ende ins Wasser geht, sagt Oliveira, sei das eine Wiedergeburt. Heftige Gefühlsausbrüche und Leidenschaften werden von Oliveira in einem sehr strengen Stil inszeniert, mit oft unbewegter Kamera. Wichtig ist ihm die Sprache. Viele seiner Filme sind vom Theater und von Romanen der portugiesischen Literatur inspiriert. Einige seiner Werke sind sehr lang. «Das Verhängnis der Liebe» etwa dauert 260 Minuten. Auf die Sehgewohnheiten des Publikums hat Oliveira kaum Rücksicht genommen, deshalb blieb er auch lange ein Geheimtipp.

Karriere-Aufschwung

In den letzten 25 Jahren aber nahm seine Karriere einen unglaublichen Aufschwung. Er hat im Schnitt jedes Jahr einen Film gedreht, dabei aber weiterhin keine Kompromisse gemacht. Doch die Zahl der Bewunderer seines eigenartigen Werkes, das mit keinem vergleichbar ist, wuchs. Oliveira wurde Stammgast auf den Festivals, Kinematheken veranstalteten Retrospektiven, und der eine oder andere Film kam sogar ins Fernsehen oder in den Verleih. Auch Stars wie Catherine Deneuve und John Malkovich haben mit ihm gearbeitet, Marcello Mastroianni und Michel Piccoli hat er großartige Altersrollen gegeben. In «Reise an den Anfang der Welt» (1997) fährt ein Regisseur, gespielt von Mastroianni in seinem letzten Film, noch einmal durch Portugal auf den Spuren seiner Jugend. Und in «Ich geh' nach Hause» (2001) verkörpert Piccoli einen berühmten, einsam gewordenen Theaterschauspieler. Als er sich bei den Dreharbeiten zu einem Film gedemütigt sieht, verlässt er im Kostüm das Studio und geht - den Text seiner Rolle vor sich hin murmelnd - nach Hause: Ein bitterer Abschied vom Leben und von der Kunst. Aber man sollte das nicht zu sehr autobiografisch deuten: Seither hat Oliveira noch zehn weitere Filme gedreht. (Von Wilhelm Roth, epd)

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