Denn er weiß, was er tut

Das beklemmende Jugenddrama „Atmen” gilt als aussichtsreicher Oscar-Kandidat für den besten ausländischen Film. Regisseur Karl Markovics spricht in der AZ über sein schwieriges Projekt
von  Florian Koch

Er versucht alle Wien-Klischees zu vermeiden, obwohl sich sein Regiedebüt dafür regelrecht anbieten würde: Karl Markovics zeigt in „Atmen”, wie ein vorbestrafter Junge eine zweite Chance bei einem Bestattungs-Unternehmen erhält. Im Kern erzählt der Österreicher aber davon, wie beiläufig der Tod im Leben häufig daherkommt.

AZ: Herr Markovics, wie geht man an so ein düsteres Film-Thema heran?

KARL MARKOVICS: Lange Zeit wollte ich mich nicht damit beschäftigen. Aber früher oder später musste ich in dieses Milieu eintauchen, weil es die zentrale Umgebung der Geschichte ist. Ich bin mit den Bestattern in mehreren Frühschichten mitgefahren, so wie man es in der Eröffnungssequenz sieht. In der Früh ist das Hauptgeschäft, denn 80 Prozent der Menschen sterben in Spitälern. Auf diesen Fahrten habe ich die ersten Leichen in meinem Leben gesehen.

Was ging dabei in Ihnen vor?

Die erste Begegnung mit einer Leiche verlief für mich fast beiläufig, weil ich damit gar nicht gerechnet habe. Als ich mich im Einsargraum umgedreht habe, stand da auf der anderen Seite des Ganges eine Stahlbahre mit einer nackten, unbedeckten alten Frau. Sie lag da wie selbstverständlich. Trotzdem war dieser Moment für mich massiv, ich konnte gar nicht mehr wegschauen. Es ist ein Phänomen, das Rilke auch in seinem Gedicht „Leichenwäsche” so unglaublich gut beschrieben hat, weil dieser tote Mensch allein durch seine Anwesenheit oder auch Nichtanwesenheit plötzlich Macht über die Lebenden hat. Mir wurde bewusst, dass das wirklich kein lebendiger Mensch mehr ist. Dieser „Knochensack” ist nichts anderes als ein Gewicht, das transportiert, gehoben, gewaschen, bewegt wird, aber von sich aus nichts mehr tut.

Sie deuten fast nur in den Szenen mit der Mutter an, aus was für zerrütteten Verhältnissen der Junge kommt.

So verschlossen diese Figur ist, so wichtig war es mir, dass man sich von Anfang an seine eigenen Gedanken zu ihr macht. In den Szenen mit der Mutter wollte ich zeigen, dass man als Mensch nur sicher durchs Leben gehen kann, wenn man sich seiner Herkunft bewusst ist. Anders ist es nicht möglich. Es geht nur um die drei großen Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Und wohin gehe ich?

Wo haben Sie diesen fantastischen Hauptdarsteller gefunden?

Wir haben mit Annoncen in Gratiszeitungen und Flyern in Schulen auf unser Casting aufmerksam gemacht. Was bei Thomas Schubert außer seiner Sicherheit im Umgang mit der Kamera herausstach, war eine Besonderheit, die sich erst nach einiger Zeit erschließt. Er ist nicht rasend attraktiv, aber auch nicht das Abbild eines Knastis. Er ist völlig durchschnittlich. Das war mir wichtig. Ich wollte keinen James Dean haben.

Haben Sie Vorbilder? Ihr strenger Stil hat Ähnlichkeiten mit Michael Haneke.

Nein. Die ästhetische Strenge kommt durch die Zusammenarbeit mit dem Kameramann Martin Gschlacht. Von ihm habe ich gelernt, wie man die extreme Reduktion, die ich beim Drehbuchschreiben schon beherrscht habe, auch optisch umsetzen kann. Ich kondensiere ein Buch sonst immer darauf, was gerade noch spürbar ist, und auf das spitze ich es zu.

Sie setzen in „Atmen” trotz allem Realismus immer wieder poetische, für sich selbst sprechende Bilder ein.


Mein Film erschließt sich nicht über den Dialog. Deswegen war es klar, dass sich in „Atmen” viel auf der Metaphernebene abspielen muss. Ich liebe Metaphern, die so beiläufig eingestreut sind, dass man sie auch übersehen kann. So wie dieses Plakat in der Schnellbahnstation. Daraus resultiert auch die bewusste Wahl für ein Cinemascope-Format und diese strengen Auflösungen. Wir behaupten nicht, dass wir mitten im Leben sind. Ich wollte einen Film machen, der einen Rahmen hat. Der Zuschauer kann sich entscheiden, ob er durch ihn hindurchsteigt und in der Geschichte ist, oder ob er draußen bleibt und eine Distanz wahrt.

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