Den Deckel draufkriegen
Antikapitalismus für Genießer: Der Regisseur Thomas Schulte-Michels über seine Inszenierung von Brecht/Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ im Gärtnerplatztheater
Kein Wunder, die Uraufführung endete mit einem Skandal: 1930 waren die Kassen ebenso leer wie heute. Kurt Weills Musik und der Text von Bertolt Brecht trafen ins Schwarze. Theodor W. Adorno beschrieb das Stück einst als die Darstellung der Welt „aus der Vogelperspektive einer real befreiten Gesellschaft, entlarvt durch den erhobenen Zeigefinger Brechts“. Regisseur Thomas Schulte-Michels, dessen Inzenierung der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ heute Abend im Gärtnerplatztheater Premiere hat, sieht das etwas anders.
AZ: Herr Schulte-Michels, also kein erhobener Zeigefinger?
THOMAS SCHULTE-MICHELS: Ich sehe ihn nicht. Sie spielen auf den Volkshochschullehrer Brecht an. Er wollte nichts anderes als Spaß haben. Aber so ist das nun mal mit den epigonalen Verwaltern. Kaum ist jemand gestorben, wird er zu einer Museumsfigur umfunktioniert. Dabei ist Brecht einer der vitalsten Dichter gewesen, die wir hatten. Da ist doch viel mehr drin als dieser leblose Katechismus, der ihm angedichtet wird. Als Regisseur muss man erst einmal sehen, dass man dem gewachsen ist. Denn der legt schwer vor.
Und wie glauben Sie, ihm gewachsen zu sein?
Da das Gärtnerplatztheater eine Volksoper ist, hoffe ich, dass meine Inszenierung was fürs Volk wird. „Mahagonny“ ist ja kein Theater für die Upperclass der Physiker oder die Intellektuellen des Pen-Clubs.
Ein Stück über Moral in der Krise – welchen Unterschied macht es, es in München oder in Berlin zu inszenieren?
Na klar, München ist eine reiche Stadt, hat alles, ist ganz weit weg von 20 Prozent Arbeitslosigkeit. Hier sieht man sie noch, die Salonlinken mit Porsche. Aber die sind doch wirklich over. Die Geschichte passt zu München wie der Deckel auf den Topf. Und wenn wir den Deckel gut draufkriegen, dann war es richtig.
Wie zeitgemäß sollte eine „Mahagonny“-Regie sein?
Ich bin 1944 geboren, also eigentlich ein Auslaufmodell, das an der Zeit nicht mehr angedockt ist. Einer, der ins Museum gehört. Wenn Sie das umdrehen, haben Sie die Antwort. Man muss den Menschen das Gefühl geben, dass sie die Zeit im Theater nicht umsonst verbringen, dass sie keinem unsittlichen Anschlag auf ihre Lebenszeit ausgesetzt sind und dass auf der Bühne etwas passiert, was auch sie angeht. Wenn wir das nicht können, sollte der Lappen geschlossen bleiben.
Wie wichtig sind dabei die szenischen Effekte?
Man muss dem Publikum immer etwas zum Genießen geben, auch in einem Stück, das, wenn ich es richtig verstehe, eine ziemlich deftige Metapher über den Turbokapitalismus ist. Da ist alles drin, von animalisch bis sexistisch und hedonistisch. Nimm dir, was du kriegen kannst. Das ist die Botschaft. Und heute sind wir wieder mittendrin. Nur ist es eben nicht das Gold von Alaska, sondern das Öl aus dem Golf.
Volker Boser
Gärtnerplatztheater, Premiere heute, 19.30 Uhr. Auch am 20., 24. und 30. Juni sowie im Juli. Karten: Tel. 21 85 19 60
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