Delikates Scheusal
Salzburger Festspiele: Mit der Kammeroper „Luci mie traditrici“ beginnt in der Kollegienkirche die Expedition durch den „Kontinent Sciarrino“.
Das Orchester ist klein, die Sänger sind schlank und die Musik leise: Trotzdem erinnert der hastige Zwiegesang zwischen der Malaspina und dem Gast an den überschwänglichen Anfang der Liebesszene im „Tristan“. Doch in Salvatore Sciarrinos Kammeroper wütet die Leidenschaft maßloser als bei Wagner: Der Betrogene tötet nicht nur den Ehebrecher, sondern auch seine angebetete Gattin.
Sciarrinos Kammeroper verzichtet auf romantische Psychologie. Aber die übrige Tradition ist allgegenwärtig. Wie die Meister des 16. Jahrhunderts konstruiert der Sizilianer klanglich betörende moderne Madrigale, wie sie von den Neuen Vocalsolisten Stuttgart am Vormittag vor der Premiere in der Kollegienkirche uraufgeführt wurden. Auch „Luci mie traditrici“ greift auf die Vergangenheit zurück: Die Vorlage handelt vom Ehrenmord des adeligen Komponisten Carlo Gesualdo und stammt von Giacinto Andrea Cicognini, der für Franceso Cavalli Operntexte dichtete.
Edelkitsch
Wie kaum ein anderer Zeitgenosse stellt der 1947 in Palermo Geborene die Stimme ins Zentrum: Über zart wispernden Bläser-Atemgeräuschen und Streichersausen zerplatzen die Melodien wie Seifenblasen zum Ausdruck der flüchtigen Affekte der Figuren.
Zwischen zwei angezündeten Apostelkerzen entfaltete sich der Zauber von Sciarrinos Musik im Altarraum nur mäßig: Die von der Künstlerin Rebecca Horn gerettete Inszenierung des verstorbenen Klaus Michael Grüber verdoppelte die musikalische Stilisierung durch symbolschwanger-erlesene Bilder zum Edelkitsch. Am Ende bedeckte der Graf sein Gesicht mit Rosenblättern und ließ die Ehebrecherin laufen: So delikat dürfte das grünäugige Scheusal Eifersucht nicht einmal in der Oper daherkommen.
Musik für die Masse
Der für Luigi Nonos oder Giacinto Scelsis Langsamkeit geeignete Nachhall der Kollegienkirche war für Sciarrino weniger günstig. Die knapp ziselierten Instrumentalgesten des Klangforums Wien unter Beat Furrer überschlugen sich zur Unkenntlichkeit. Und es war bisweilen kaum zu unterscheiden, ob der Schlagzeuger zärtlich das Donnerblech streichelte oder ein VIP über den Grünmarkt zum Festspielhaus kutschiert wurde.
Wie die früheren Salzburger Konzertreihen wird auch der „Kontinent Sciarrino“ dazu beitragen, vorwiegend Spezialisten geläufige Musik massentauglicher zu machen. Aber etwas mehr Hinwendung zum Publikum täte not: Wo der Hall selbst die italienischen Schlagworte des Texts in Unschärfe zerfließen lässt, wären Übertitel Pflicht.
Robert Braunmüller
Heute, 6., 7. und 8. August, 20 Uhr. Infos unter www.salzburgerfestspiele.at