Dazu bist du gekommen?

Ben Becker mit Bibel in der Oly – er scheitert nicht als Sinnsucher, aber als Performer
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Ben Becker mit Bibel in der Oly – er scheitert nicht als Sinnsucher, aber als Performer

Ein schöner Ansatz für ein spannendes Experiment: Ben Becker, expressiver Schauspieler, als Mensch auf gut bairisch ein „Herdplattenanfasser“, nimmt sich die Bibel, destilliert eine Art „Best Of“ heraus und baut um das Buch der Bücher mit großem Orchester, kleinem Gospelchor und Multimediatechnik eine „gesprochene Symphonie“.

Nun könnte man ihm übel nehmen, dass er sich am mutmaßlich Allerheiligsten vergreift. Dass er es fertig bringt, die Heroin-Spritze, die ihn vor zwei Jahren fast das Leben gekostet hat, als Begegnung mit dem Leibhaftigen zu interpretieren. Dass er die „Lust am Pathos“ heranzieht, wegen der er „die Bibel machen“ wolle, was ein bisschen an den Kindskopf Mario Barth erinnert, der einst aus Bierlaune heraus wettete: „Ich mach’ das Olympiastadion voll.“ Nein, jeder soll suchen dürfen, wie er mag und was er mag.

Ein Wahnsinns-Bass...

Aber eine Show, für die pro Person bis zu 66 Euro Eintritt verlangt werden (die Riesenhalle war höchstens halb voll), muss sich ein paar kritische Anmerkungen in Richtung künstlerische Qualität gefallen lassen. Das Publikum applaudierte auch eher höflich denn erleuchtet.

Ben Becker hat einen Wahnsinns-Bass, keine Frage. Doch da dieser vom ersten Moment der Welterschaffung durchgängig bis zur Auferstehung ausschließlich bebend vor Ergriffenheit dasselbe laute Vibrato anschlägt, ist der Vortrag nicht immer klar verständlich und – viel fataler – wirkt vor allem unecht.

Becker liest, wie eine schlechte Punkband spielt: Immer voll auf die Nuss. Dazu hat der Soundtechniker den Hallregler auf „Kathedrale“ stehen und Becker bemüht eine adäquat schlichte Gestik: Wenn Noah eine Taube fliegen lässt, schreibt seine Hand einen großen Kreis in den Himmel, wenn Gott den Odem des Lebens in die Nase bläst, schnappt Beckers Mund nach dem Mikro, wenn sich die Tür zur Arche schließt, knallt die Pauke und so weiter.

...aber immer mit dem Pegel im roten Bereich

Das Filmorchester Babelsberg müht sich noch am erfolgreichsten, differenzierte Stimmungen zu erzeugen, ist aber machtlos, wenn Becker es, aus welchen Gründen auch immer, für angebracht hält, Elvis’ „In The Ghetto“ mehr gurgelnd als singend vorzutragen. Zwischen Altem und Neuem Testament liegt dann eine Pause zum Bierholen.

Die folgende Geschichte von Jesus steht für sich selbst, aber Becker wird endgültig vom selbsterzeugten Problem eingeholt, den Dramatik-Pegel seit zwei Stunden im roten Bereich zu haben. Der Tiefpunkt: Eine steindumme Extremkitsch-Version von „Bridge Over Troubled Water“. Der Schlusspunkt: Ein bisschen Stimmung bei „He’s Alive“. Draußen dann Werbezettel für Ben Hur, der ist sicher nicht fern von Ben Becker.

Wie hatte dieser Jesus gleich noch zu Judas gesagt: „Mein Freund, dazu bist du gekommen?“

Michael Grill

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