Das zubetonierte Paradies
Rafael Chirbes erzählt in seinem Roman „Krematorium“ von der Zerstörung der Mittelmeerküste
Verwüstungen, wohin das Auge reicht: verschandelt, zugemauert, betoniert sind große Teile der spanischen Mittelmeerküste, insbesondere durch den Immobilienhype der letzten 15 Jahre. Der 1949 in der Nähe von Valencia geborene Autor Rafael Chirbes hat häufig gegen die Zerstörung seiner Heimat gewettert, nun legt er mit „Krematorium“ seine künstlerische Abrechnung mit dem entfesselten Kapitalismus vor. Ein Roman wie ein Faustschlag.
Im Zentrum des Porträts einer auseinander gefallenen Familie steht Rubén Bertomeu, ein Bauunternehmer in den 70ern, gebildet, zynisch, steinreich. Durch Druck und Schmiergeld an die korrupten Lokalpolitiker hat er sich sein Imperium aufgebaut, heute aber kommen ihm unverhofft die Tränen. Sein Bruder Matías, ein gescheiterter Lebenskünstler und Ökobauer, ist gestorben und liegt aufgebahrt zur Einäscherung. Die erzählte Zeit des Buches umfasst nur diesen Todestag, doch Chirbes lässt die zersplitterte Familie in langen, kapitelweise wechselnden inneren Monologen zu Wort kommen, dazu Figuren wie den Schriftsteller Frederico Brouard, Rubéns Jugendfreund, der schon lange mit ihm gebrochen hat.
In der Aktualität gelandet
Wie im Tunnel habe er die letzten drei Jahre verbracht, sagt Chirbes, er hat sich reingeschrieben in ein bitteres, komplexes, ungemein gedankentiefes und sprachmächtiges Meisterwerk, das als bester spanischer Roman des Jahres ausgezeichnet wurde.
Nach etlichen Werken über die jüngere Geschichte seines Landes, die Franco-Diktatur („Der lange Marsch“) und den Übergang zur Demokratie, ist Chirbes in der Aktualität gelandet. Aber sein Roman geht über den Bauboom, der als Metapher für die Gier und das zerstörte Paradies fungiert, hinaus. Die ganze menschliche Existenz mit all ihrer Sehnsucht und Ohnmacht, mit Kunst und Geist das Verrinnen der Zeit („eine Ratte, die alles vertilgt“) zu stoppen, ist auf dem Prüfstand.
Chirbes entstammt einer republikanischen Familie, die in der Franco-Diktatur auch in Haft geriet. Den linken Revolutionskitsch, der im letzten Jahrzehnt den spanischen Buchmarkt befeuerte, lehnt er dennoch ab. Bei Chirbes haben auch die Guten Leichen im Keller, und das Böse bevorzugt er in seiner intelligenten Ausführung.
Anhängig von seinen Schecks
So ist Rubén die schillerndste Figur. Mögen ihn die anderen Familienmitglieder auch verachten, sie alle sind abhängig von seinen Schecks, auch der schöngeistige Schwiegersohn, Literaturprofessor Juan, der an Brouards Biografie bastelt und über die Neureichen die Nase rümpft: „Prätentiöser Abschaum, wohnt in Villen, deren Weinkeller mit teuren Riojas vollgestopft sind, und im Garten steht ein Zwinger mit Killerhunden.“
Der Materialismus hat den Idealismus endgültig besiegt, die Kunst als Religionsersatz entwertet, aber Rubén stört das nicht. Er merkt, dass er sein Leben für die Selbstsucht und „schäbige Ideale“ verschwendet und den politischen Kampf seiner Jugend ad absurdum geführt hat, „wer weiß, vielleicht richten sie auch weniger Schaden an“.
Dass Francis Bacon in diesem Roman Erwähnung findet, ist kein Zufall. Der Maler der deformierten Körper schuf auf der Leinwand, was Chirbes mit diesem Roman gelingt: die Demontage der modernen Gesellschaft, nach deren Lektüre kein Stein mehr auf dem anderen sitzt.
Volker Isfort
Rafael Chirbes: „Krematorium“ (Kunstmann Verlag, 428 Seiten, 22 Euro)
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