Das Wichtigste ist in zweieinhalb Stunden gesagt
Ach, wie viele „Fäuste“ haben wir schon gesehen! Aber fast immer nur  Teil I mit der Gretchen-Tragödie. An Johann Wolfgang von Goethe komplettes Monumentalwerk   „Faust I und II“ im Doppelpack wagt sich kaum einer. Peter Stein legte  im Jahr 2000 mit seiner ungekürzten Mammut-Inszenierung die Rekordlatte  auf 20 Stunden Spieldauer. Nicolas Stemann brachte es letztes Jahr  immerhin auf acht Stunden. Dass es auch in gut zweieinhalb Stunden  inklusive Pause geht, beweist Regisseur Ioan C. Toma mit seiner freien  Produktion „Faust, die Frauen und das Wasser“ in der Reithalle.
Das ist natürlich ein Schnellgalopp, vor allem durch den unendlich  ausufernden zweiten Teil. Aber das Verblüffende ist: Das Konzept geht  auf! Tomas Fassung erzählt stringent alles Wichtige, die Inszenierung  lebt von subtilem Witz und der Spiellust der nur vier Schauspieler. Und  Gerd Lohmeyers abgeklärt-komischer Gentleman-Mephisto ist eine  Sonderklasse für sich.
Frauen und Wasser stehen für Ioan C.  Toma für die Fruchtbarkeit der Welt, die der Macho Faust zerstört. Das  junge Gretchen bringt er samt Familie um, die schöne Helena domestiziert  er zur Hausfrau und entwertet sie damit als mythisches Idol. Und das  Meer will er mit Dammbauten einfach verdrängen, genauso wie das alte  Paar Philemon und Baucis, das seinem Herrschaftsanspruch im Wege steht.  Am Ende hinterlässt er überall nur verbrannte Erde.
Gerd Lohmeyer menschelt als Mephisto
Tomas Bühne ist ein schwarzes leeres Spielgerüst mit einem großen  feuerroten Tuch als Vorhang, der nach Bedarf umgehängt wird. Davor steht  eine Badewanne mit Wasser. Darin wird Faust verjüngt, da landen die  Kinder von Gretchen und Helena, ehe sie schließlich zu Fausts Grab wird.
Die wirkungsvolle Einfachheit der szenischen Mittel erstaunt immer  wieder, und Bonnie Tillemanns fantasievolle Kostüme erlauben den  Schauspielern rasend schnelle Umzüge. Alle vier glänzen: Ina Meling ist  ein bewegendes Gretchen und eine frivol-glamouröse Helena, Ferdinand  Schmidt-Modrow wirft sich mit Verve in alle kleinen Rollen wie Valentin,  Kaiser, Hexe oder Engel. Johannes Schön spielt einen vor allem im  Liebesfuror aufbrausenden jugendlichen Faust, der immer machtgieriger  wird.
Mephisto hat mit seinen unersättlichen Wünschen mehr  Arbeit als mit der anfänglichen Verführung. Gerd Lohmeyer gibt einen  sarkastischen, doch zutiefst menschlichen weisen Teufels-Narren: Er  lässt das Pferd, auf das er gewettet hat, rennen und greift nur notfalls  als Strippenzieher in die Zügel. Aber am Ende muss er, von Gott  betrogen, resignieren: „Bei wem soll ich mich jetzt beklagen?“ Lohmeyers  diskrete, trockene Komödiantik macht seinen Mephisto zum  Sympathieträger dieser frischen, überzeugenden Aufführung. 
Reithalle, Hess-Straße 132, 14. 15., 16., 18., 20., 22. - 24. Mai 2012, 20 Uhr, Tel.: 1216 2370