Das Treiben und die Erotik
Georg Queri wird mit Texten über Haberer und Schnaderhüpferl wiederentdeckt
Ob die Milchbauern wohl wissen, auf was sie sich berufen? Zum „Haberfeldtreiben“ gegen den Verbandspräsidenten Sonnleitner wurde vor kurzem gerufen, und 2000 Protestierer zogen mit Trommeln und Kuhglocken vor dessen Haus in Niederbayern. Da war das Haberfeld plötzlich wieder da, als wohl originell gemeinte, volkstümliche Form der politischen Auseinandersetzung.
Was das aber wirklich war, lässt sich nun sehr anschaulich erleben beim Hören der CD „Haberfeldtreiben – Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern“. Das geht dann zum Beispiel so: „Jetzt kommt der Y. von Egmating / Bei diesem Ehebrecher hat’s allerhand Gewinden / Er vögelt seine N. von vorn, und der X. den Y. von hinten.“ So schallt’s beim Treiben zu Egmating im Jahre 1892, und es war in keiner Weise lustig gemeint, sondern eine öffentliche Bloßstellung, bei der sich das sogenannte gesunde Volksempfinden austobte und der Wahrheitsgehalt der Nachreden eher zweitrangig war. Das diese auf freiem Feld bei einer Art Fehmegericht vorgetragenen Texte, bei denen es zwar manchmal auch gegen die Obrigkeit, meist aber gegen Außenseiter und sozial Schwache ging, überhaupt überliefert wurden, verdanken wir Georg Queri.
Die schäumende Volksseele
Der Schriftsteller und Journalisten, geboren 1879 bei Andechs, früh gestorben 1919 in München, war lange verkannt und vergessen. Dabei darf man ihn von der Sprachgewalt her in einer Reihe mit Oskar Maria Graf und kulturhistorisch als Vorläufer aller bekannten Querkopf-Bayern von Valentin bis Polt sehen. Es ist das Verdienst von Michael Stephan, Historiker und neuer Direktor im Stadtarchiv, dass Queris Werk Stück für Stück wieder ans Licht kommt.
Er begann 2002 mit einer Ausstellung im Hauptstaatsarchiv und einem Queri-Lesebuch. Dann folgten Lesungen und die Zusammenarbeit mit dem Volksschauspieler Bernhard Butz, der für Queri so etwas werden könnte wie der Pianist Alfred Brendel für Beethoven – kongenialer Interpret und Übersetzer in die Jetztzeit. Mit „Haberfeldtreiben“ ist nach „Kraftbayrisch“ und „Erotik“ die dritte Folge der Vertonung von Queri-Texten erschienen. Besser kann man heute die aufgebrachte, selbstgerechte, schäumende oberbayerischen Volksseele des 19. Jahrhunderts kaum zu spüren bekommen, als wenn Butz mit derbstem Idiom die Texte vonQueri vorträgt.
Grobheiten und Erotik
Kaum jemand hat wohl den Leuten auf dem Land so direkt aufs Maul geschaut wie Queri, wenn er Eigenarten und Bräuche dokumentierte, mit dem Notizblock Lieder und Schnaderhüpferl einfing. Und das besonders gern, wenn sich Grobheiten und Erotik paarten.
„Queri leuchtet in Spalten hinein, die keiner vorher ausgeleuchtet hat“, schwärmt Verleger Robert Galitz. Um so tragischer sei, dass der Schriftsteller „total unterschätzt“ werde. Historiker Stephan, der in Starnberg den Nachlass und am Hauptstaatsarchiv sogar eine Benutzerakte von Queri fand, plant noch zwei weitere Folgen der Edition.
Das grausame, pogrome Haberer-Treiben, das heute gerne romantisch verklärt wird, hat Queri jedenfalls nicht nur dokumentiert, sondern auch nüchtern eingeordnet: Als „Elend“, das „nie ungeheurer war als in der guten alten Zeit, wo das Mitleid selten war“.
Michael Grill
Die CDs erscheinen im Verlag Dölling und Galitz. Queri-Abend in der Monacensia: 17. Februar, Tel. 4194720