Das süße Leben
Glänzend geschrieben und recherchiert: Simon Sebag Montefiores Buch über Grigori Potemkin
Bei seinem Namen denkt jeder an den Panzerkreuzer aus Sergej Eisensteins Revolutionsfilm. Und natürlich an die „Potemkinschen Dörfer“: Sie sollten der Zarin KatharinaII. blühende Landschaften auf der frisch eroberten Krim vorgaukeln.
Das Schiff hieß so, weil der Fürst die russische Schwarzmeerflotte begründete. Die Dörfer aus gemalten Kulissen sind eine Verleumdung, erfunden von seinen Feinden und weitergetratscht von einem Sachsen, der nie da war. Weil sie Klischees vom alten russischen Schlendrian und den Usancen moderner Staatsbesuche wunderbar bedient, hält sich die Legende hartnäckig. Den Zeitgenossen fiel nichts Verdächtiges auf: Der pedantische Kaiser JosephII. aus Wien, mit dem die Zarin 1787 am Schwarzen Meer zusammentraf, inspizierte alles persönlich und fühlte sich nicht hinters Licht geführt.
Archivarbeit für Genießer
Ein modernes Plädoyer für Potemkin hält Simon Sebag Montefiores opulente Biografie. Sie ist ein Glanzstück erzählender Geschichtsschreibung, wie es nur Briten gelingt. Immer wieder überrascht der Autor mit wörtlichen Gesprächen. Der misstrauische Leser erinnert sich an die Dörfer. Aber Montefiore hat nicht nur aus anderen Büchern abgeschrieben, sondern neue Quellen in russischen Archiven auftgetan.
Grigori Potemkin fiel der Zarin auf, als er ihr bei der Musterung der Garde eine Schlaufe reichte, die am kaiserlichen Degen fehlte. Später verliebte sich Katharina in den schönen Mann. Er wurde Günstling, wohl auch ihr heimlicher Ehemann. Rasch stieg er zum Minister, Oberbefehlshaber und Statthalter der südlichen Provinzen auf, die er im Krieg gegen das Osmanische Reich vergrößerte. Dabei unterstützte den Rastlosen sogar eine jüdische Kosakenarmee.
Potemkins „Neurussland“ zog Abenteurer aus der Alten und Neuen Welt an, die aufschlussreiche Berichte hinterließen. Auch ein junger Korse namens Bonaparte wollte in seine Dienste treten, wurde aber wegen eines Rangstreits abgelehnt. Wenn Montefiore das Prachtschiff mit Wassertoiletten beschreibt, mit dem KatharinaII. gen Süden reiste, kommt einem Talleyrands Satz in den Sinn: „Wer das Ancien Régime nicht kannte, wird niemals wissen können, wie süß das Leben war.“ Aristokrat hätte man sein müssen, damals. Uns Nachgeborenen bleibt nur die von Montefiore mächtig angeregte Fantasie.
Robert Braunmüller
Simon Sebag Montefiore: „Katharina die Große und Fürst Potemkin“ (S. Fischer, 790 Seiten, 24.95 Euro)
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