Das Orakel von Stockholm

Heute wird der neue Träger des Nobelpreises für Literatur bekannt gegeben. Zu den Favoriten zählt die rumäniendeutsche Autorin Herta Müller, vielleicht wird’s aber auch der Popstar Bob Dylan
von  Abendzeitung

Heute wird der neue Träger des Nobelpreises für Literatur bekannt gegeben. Zu den Favoriten zählt die rumäniendeutsche Autorin Herta Müller, vielleicht wird’s aber auch der Popstar Bob Dylan

Wer als Papst ins Konklave hineingeht, kommt als Kardinal wieder heraus, sagt das Sprichwort. Dahinter steht die Beobachtung, dass die öffentliche Wertschätzung mancher Personen oft anders ist als in den entscheidenden Hinterzimmern der Macht.

Die schwedische Akademie ist so ein verschwiegener, wenn auch nicht wirklich mächtiger Ort. Sie vergibt den mit knapp 1,1 Millionen Euro dotierten Nobelpreis für Literatur, dessen Ansehen die exzentrischen Entscheidungen der letzten Jahre nichts anhaben konnten.

Heute um 13 Uhr ist es wieder so weit: Der Historiker Peter Englund gibt in seiner Eigenschaft als Ständiger Sekretär der Akademie in der Alten Börse von Stockholm den Preisträger bekannt. Er ist Nachfolger des eigensinnigen Horace Engdahl, der amerikanische Autoren als zu isoliert und unwissend für große Literatur bezeichnete, als Mitglied der Akademie aber weiter mitstimmen darf.

Die Zocker als Nobelpreisbarometer

In Ermangelung internen Getuschels beobachten Akademie-Astrologen die Quoten des britischen Wettbüros Ladbrokes. Dort setzt man zunehmend auf die in Berlin lebende Schriftstellerin Herta Müller, deren jüngster Roman „Atemschaukel“ von der Deportation deutschstämmiger Rumänen nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion handelt.

Vor Müller liegen nur noch knapp der Israeli Amos Oz sowie die ewigen Kandidaten Joyce Carol Oates und Philip Roth. Wenn die Wetteinsätze auf den diesjährigen Nobelpreis einigermaßen stimmen und vielleicht gar auf Insider-Wissen beruhen, hat die rumäniendeutsche Autorin beste Aussichten. Bekam man bei Ladbrokes auf ihren Namen letzte Woche noch das 51-Fache des Einsatzes, sank die zu erwartende Quote bis Mittwoch auf das Siebenfache.

Bob Dylan als Außenseiter-Kandidat

Im letzten Jahr hatte es kurz vor der Bekanntgabe eine ähnlich markante Entwicklung beim Preisträger Jean Marie Le Clézio gegeben. Auch 2006 schienen etliche Zocker etwas gewusst zu haben, denn der Türke Orhan Pamuk lag einen Tag vor der Vergabe des Preises bei den Einsätzen plötzlich einsam an der Spitze.

Seltsam orakelnde Worte kamen zuletzt aus dem Mund des neuen Sekretärs Peter Englund, der den Eurozentrismus des eigenen Komitees kritisierte. Wollte er nur Verwirrung stiften? Oder steckte ihm eine geschluckte Kröte im Hals? Außenseiter-Chancen werden wegen der lyrischen Qualität seiner Songtexte übrigens auch Bob Dylan eingeräumt. Da müßte aber Horace Engdahl wirklich über seinen Schatten im Quadrat gesprungen sein.

Robert Braunmüller

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