Das gute Benehmen

Interaktiv und postdramatisch: Eindrücke vom Young Directors Project der Salzburger Festspiele
Gabriella Lorenz |
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Im Museum hält man die Augen offen: Man will ja was sehen. Doch wer der Einladung des Londoner Künstlerduos Lundahl & Seitl ins Salzburger Museum der Moderne auf dem Mönchsberg folgte, musste sich auf andere Sinne verlassen. Nicht Robert Wilsons Videos galt die Aufmerksamkeit, sondern einem imaginären Raum, der blind zu erfühlen, erhören und ertasten war. Christer Sundahl und Martina Seitl setzen ihren Gästen erst Kopfhörer, dann eine Weißbrille auf: Klänge von Schritten und eine Schmeichel-Stimme suggerieren einen fiktiven Regenwald oder Felspassagen, durch die einen sanfte Hände geleiten. Man ist ihnen ausgeliefert und muss im Kopf die Welt dazu erfinden. Für ihre Performance „Symphony of a Missing Room” gewannen Lundahl & Seitl den Young Directors Award bei den Salzburger Festspielen.

2002 erfand Jürgen Flimm den Regiewettbewerb Young Directors Project (YDP), eine internationale Plattform für junge Regisseure jenseits der von Salzburg gewohnten Traditons-Hochkarätigkeit. Bald erweiterte sich der Blick auf Theaterkollektive und neue Aufführungsformen. In diesem Jahr haben sich der scheidende Schauspielchef Thomas Oberender (ab 2012 Intendant der Berliner Festspiele) und seine YDP-Kuratorin Martine Dennewald viel getraut. Interaktiv und postdramatisch waren die Zauberwörter, denen vier der fünf eingeladenen Produktionen gerecht wurden – und das bedingte auch unkonventionelle Spielorte.

Zwei Produktionen okkupieren gleich ein ganzes Haus. In einer spießigen Wohnsiedlung hat die dänische Gruppe Signa ein Einfamilienhaus in eine Hölle lebender Toten verwandelt. „Das ehemalige Haus” ist ein Zentrum für Mädchenhandel und Zwangsprostitution. Der Zuschauer wird von raunenden Erynnien durch ein spießiges Familieninferno geführt. Er sitzt immer auf einem Sofa mittendrin, wird vom Wiener Mädchenhändler und seiner russischen Frau mit Wodka traktiert, sieht die demente Mutter im Bett und ihre völlig debilen Söhne im verwahrlosten Kinderzimmer, erlebt, wie drei Zwangsprostituierte aus Osteuropa gedemütigt, geschlagen, vergewaltigt werden. Doch Signa will nicht nur betroffen machen: Der Zuschauer kann gehen, protestieren oder eingreifen, kann das Mädchen dem „Zureiter” abkaufen. Diese Option war wohl für die Juroren Klaus Maria Brandauer und Helga Rabl-Stadler nicht erkennbar, sie verließen vorzeitig die Vorstellung.

Das Gegenteil zelebrierte die schwedische Gruppe Poste Restante in einer hochherrschaftlichen Villa. „The Dinner Club” verlangte einen Benimmkurs à la 60er Jahre: Rumba-Tanzen, Flirtschule, Smalltalks, Tischmanieren, die man am Ende zu beweisen hat. Wieviel Opfer bringen wir für gesellschaftliche Konventionen, ist die Grundfrage, die sich aber den meisten Teilnehmern nicht erschließt. Die genießen einfach eine nostalgische Dinnerparty.

Noch näher ran ging wohl die belgische Performance „A Game of You”, die den Zuschauern in 30 Minuten ihr Spiegelbild vorsetzte (ich konnte sie leider nicht sehen). Im Guckkasten und auch arg in der US-Historie verhaftet blieb „Mission Drift” vom amerikanischen TEAM (mit der fabelhaften Sängerin Heather Christian) – eine überlange narrativ-musikalische Geschichte der Eroberung des Westens bis zur Gründung von Las Vegas, wo sich Utopie und Sozial-Elend kreuzen.

Auch unter dem neuen Intendanten Alexander Pereira und Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf wird es das YDP weiter geben: Der Sponsor Montblanc hat bereits den Vertrag für 2012 unterzeichnet. 

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