Das große Welttheater auf dem Dorfe
Ein neuer Film über den Vollblut-Theatermacher Christian Stückl
Hunderte von kostümierten Menschen auf einer Bühne, mitten darunter der rauchende Spielleiter, immer in Bewegung. Christian Stückl ist kein Regisseur, der im Parkett sitzt, er ist auf der Bühne, probiert selbst Dinge aus, immer in Bewegung, er zeigt seinen Schauspielern, wie er sich ihre Bühnenaktionen vorstellt.
Wie jetzt bekannt wurde, führt Stückl wahrscheinlich auch bei den nächsten Oberammergauer Passionsspielen in zehn Jahren wieder Regie, dann insgesamt zum vierten Mal. Festlegen will er sich noch nicht, aber: „Andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, es nicht mehr zu machen. Was tu’ ich denn dann?“ Stückl ist einer, der alles gibt für sein Theater.
Im Oberammergauer Gemeinderat wird manchmal Kritik laut, wenn er von „seinem“ Passionsspiel spricht. „Aber es ist auch mein Passionsspiel. Irgendwie gehört’s auch mir!“ Das lässt ein strahlender Stückl in Joachim Haupts Dokumentation „Christian Stückl – Mein Leben“ verlauten, die am Wochenende auf Arte zu sehen ist. Von jedem anderen fände man so einen Spruch arrogant. Bei Stückl ist diese Egozentrik sympathisch, nachvollziehbar. Er lebt ja wirklich fürs Theater („Das bin ich, das muss ich machen, das geht gar nicht anders.“), sei es in Oberammergau oder in München, am Volkstheater. Dem kleinsten der drei großen Münchner Schauspielhäuser hat er, seit er 2002 die Intendanz übernommen hat, ein völlig neues Gesicht verliehen. Haupts Film zeigt den „Weltdorf-Theatermacher“, wie ihn die Zeitschrift „Theater Heute“ nannte, bei den Proben zu seinem 2009er „Hamlet“.
Theatertexte unter der Werkbank
Stückl erzählt, dass er bei jeder Premiere aufgeregt ist, weil er loslassen muss, selbst nichts mehr tun kann, jetzt alles alleine in den Händen der Schauspieler liegt. Im Film sieht man ihn im Volkstheater, wie er nach der Premierenvorstellung energisch die Flügeltüren zum Foyer öffnet, bereit, sich jetzt selbst seinem Publikum zu stellen. Außerdem führt er für den Film durch sein Oberammergau, zu den Orten seiner Kindheit, zur Kirche, zum Wirtshaus seiner Eltern und zur Holzbildhauerschule, wo er als junger Mann in die Lehre ging. Bereits damals hatte er unter der Werkbank immer Theatertexte liegen. Mit 24 wurde er dann der bisher jüngste Spielleiter in der Geschichte der Passionsspiele. Natürlich mache man die Spiele dann zu seiner eigenen Geschichte, sagt Stückl.
Am 3. Oktober fällt dieses Jahr der letzte Vorhang. Dann werde traditionell immer viel geweint unter den rund 2500 beteiligten Oberammergauern, erzählt Pressesprecher und Jesus-Darsteller Frederik Mayet. „Es wird den Leuten plötzlich bewusst, dass mit einem Mal alles vorbei ist.“ Bei Stückl hoffentlich noch nicht so bald.
Katrin Kaiser
Arte, Sonntag, 16.30 Uhr