Das Gift der Verleumdung

Auch Umberto Ecos neuer Krimi „Der Friedhof in Prag” basiert auf dem Prinzip von Täuschung und Lüge. Leider versumpft die Geschichte um den fiesen Fälscher Simonini in einer Materialschlacht
Matthias Maus |
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Die Mittel ändern sich, die Möglichkeiten und die Maschinen. Aber der Mensch bleibt böse durch die Zeitalter, durchtrieben und gemein. Ob der Mönch im Mitteltalter, ob der Hedgefonds- Manager dieser Tage: Intrige und Betrug, Gier und Fälschung haben immer Boom. Umberto Eco, dem die Welt den bahnbrechenden Mittelalter-Krimi „Der Name der Rose” verdankt, lehrt uns diese Weisheit auch in seinem neuen Buch.

Täuschung und Lüge ist Prinzip dieses Krimis, mit dem Titel geht es los. „Der Friedhof in Prag” führt nicht in die tschechische Hauptstadt, er spielt im späten 19. Jahrhundert zwischen Turin, Palermo und vor allem in Paris. In der spannenden Zeit zwischen Garibaldis Triumph und Dreyfus-Affäre, zwischen Italiens Geburt und dem Untergang von Napoleon III. lässt Eco den genialen Fälscher Simon Simonini sein Unwesen treiben und maßgeblich beitragen zu den großen Katastrophen, die da kommen werden.

Wer zahlt, bekommt das passende Dokument

Für die Geheimdienste und für jeden, der genug zahlt, fabriziert dieser gelernte Notar Dokumente, um die Feinde seiner Auftraggeber zu diskreditieren. Für die Jesuiten gegen die Freimaurer, für die Nationalisten gegen die Jesuiten, für die Bonapartisten gegen die Republikaner – und für alle immer wieder gegen die Juden richten sich seine angeblichen Dokumente.
Dass er plump vorgeht dabei, der Hauptmann, der den Judenhass von seinem Großvater geerbt hat wie seine Lust am guten Essen, das nehmen die Auftraggeber nicht übel – solange die Schriftstücke ihren Zweck erfüllen. Simonini fälscht also das Dokument, mit dem der jüdische Hauptmann Dreyfus die Pläne für einen Kanone an den preußischen Generalstab verrät. Und er fertigt gleich mehrere Versionen der „Protokolle der Weisen von Zion”, über jenes angebliche Treffen auf dem jüdischen Friedhof von Prag, mit der die Regime von Moskau bis Berlin angebliche Welteroberungspläne des Judentums belegen wollten.

Eco verfährt im 500-Seiten-Krimi nach einem Muster, das er bereits in der „Rose” von 1982 anwandte. Fast alle Figuren sind historisch, bis auf die Hauptperson. „Ich habe einen durch und durch unsympathischen Menschen geschaffen”, sagt Eco, und da hat er absolut recht.

Jahrelang hat der Mailänder Semiotik-Professor für den Roman Material und Texte gesammelt aus der Zeit. Das ist löblich. Weniger löblich, dass er seine Sammlung ausbreitet. Noch unerträglicher als Ecos widerlicher Opportunist Simonini sind die seitenlangen Ergüsse der historischen Antisemiten, die minutiös dargelegten Weltverschwörungstheorien. Mit denen ließen die Spinner der Zeit ihr geneigtes Publikum in Salons und Schmuddelbändchen erschauern. Dem Leser seines Romans hätte Eco das ersparen können. Die Giftigkeit und die Gefährlichkeit der Verleumdung sind auch so überdeutlich. Darüber zu lesen ist kein Vergnügen – auch bei Eco nicht.

Umberto Eco: „Der Friedhof in Prag” (Hanser, 528 Seiten, 26 Euro)

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