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Elsa-Sophie Jach über Sartres "Die Fliegen" im Cuvilliéstheater
Michael Stadler |
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Evelyne Gugolz (links) in der Rolle der Jupita, Barbara Horvath als Pädagogin und Vincent zur Linden als Orest.
Birgit Hupfeld 4 Evelyne Gugolz (links) in der Rolle der Jupita, Barbara Horvath als Pädagogin und Vincent zur Linden als Orest.
Sartres "Die Fliegen" im Cuvilliéstheater.
Birgit Hupfeld 4 Sartres "Die Fliegen" im Cuvilliéstheater.
Sartres "Die Fliegen" im Cuvilliéstheater.
Birgit Hupfeld 4 Sartres "Die Fliegen" im Cuvilliéstheater.
Sartres "Die Fliegen" im Cuvilliéstheater.
Birgit Hupfeld 4 Sartres "Die Fliegen" im Cuvilliéstheater.

Nur noch selten schwirren Sartres "Die Fliegen" auf deutschen Bühnen herum. Nicht nur, weil der Existentialismus nicht immer en vogue ist, sondern auch, weil die Sartre-Erben streng darauf achten, dass das Original bei jeder Inszenierung in seinem Wortlaut erhalten bleibt.

Dennoch inszeniert Resi-Hausregisseurin Elsa-Sophie Jach den Stoff jetzt zur Saisoneröffnung im Cuvilliéstheater. Dabei verwendet sie eine aus dem Französischen neu übersetzte Fassung von Magnus Chrapkowski. Und der Dramatiker Thomas Köck hat, das Stück umrahmend, einen neuen Prolog und Epilog geschrieben.

AZ: Frau Jach, was halten Sie von den Aktionen der Letzten Generation?

ELSA-SOPHIE JACH: Ich denke, die Letzte Generation will mit ihren Aktionen vor allem Aufmerksamkeit erregen, was ich durchaus verstehe und in seiner Gewaltlosigkeit auch für sinnvoll halte. Die Gruppe will etwas sichtbar machen. In diesem Anspruch sind ihre Aktionen der Kunst nicht unähnlich.

Kunst will stören.

Ich stelle mir manchmal vor, dass jemand ein Stöckchen in einen fließenden Strom hält und dadurch die Struktur der Wellen erkennbar wird. Das, was man vorher einfach hingenommen hat, wird dadurch anders lesbar. Ich dachte jetzt gerade an einen Fluss, aber man kann auch an den Verkehrsstrom denken, der von der Letzten Generation unterbrochen wird.

In dem Prolog, den Thomas Köck für die Inszenierung verfasst hat, brennen die Wälder. Agamemnon erscheint als Umweltsünder, der per Fracking die Gasvorkommen der Erde erschöpft hat. Und seine Tochter Iphigenie wirkt wie eine Vertreterin der Letzten Generation, die gegen ihn rebelliert.

Man kann den Prolog so lesen. Sartre hat damals mit den "Fliegen" eine aktualisierte Version der antiken Orestie geschrieben, vor dem Hintergrund seiner eigenen Zeit und seiner existentialistischen Philosophie. Dabei hat er das Stück unter Zensurbedingungen veröffentlicht - insofern sind die Hinweise, die er auf die Zeit der Besatzung streut, eher verborgen. Aber er sagt in seinem Vorwort zum Stück ganz klar, dass Kunst auf dem Hintergrund der jeweils aktuellen Situation gelesen werden sollte.

Was Sie nun ähnlich machen wollen?

Ich fühlte mich durch das Vorwort eingeladen, dass wir selbst einen neuen Prolog vor das Stück setzen, um eine Art Brille für den ganzen Abend zu schaffen. Die Themen, die uns heute relevant vorkamen, waren: Schuld, Generationenkonflikte, eine von den Menschen zerstörte Welt. Gemeinsam mit dem Dramaturgen Michael Billenkamp habe ich überlegt, wer das schreiben könnte. Wir sind schnell auf Thomas Köck gekommen, der sich in seinen Stücken immer wieder eindrücklich mit solchen Themen befasst und mit dem ich schon mehrfach zusammengearbeitet habe.

Der Generationenkonflikt findet im Prolog nun erstmal zwischen Agamemnon und Iphigenie statt. Später begehren Orest und Elektra, die Kinder Agamemnons, gegen ihre eigene Mutter Klytämnästra und deren Geliebten Ägisth auf, die Agamemnon ermordet haben. Und die Umweltsünder sind?

Sie begehren auf jeden Fall gegen eine Generation auf, die in dem verharrt, was sie sich zusammengerafft hat. Zwar sagen die Älteren, ja, wir wissen, dass wir Mist gebaut haben, aber wir haben keine Lösung für die jetzigen Probleme. Es ist ja sowieso alles zu spät, also ziehen wir unser Ding jetzt durch. Nur: Was bedeutet es für eine junge Generation, die Schuld der älteren zu erben?

Sich seinem Schicksal zu ergeben, ist bei Sartre keine Option mehr.

Nein, Sartre sagt, dass der Mensch dazu verurteilt ist, frei zu sein. In Folge dieser Freiheit ist er dazu aufgefordert, selbstverantwortlich zu handeln. Ich habe das Gefühl, dass genau das wieder aktuell wird. Der Existentialismus war für mein Empfinden lange Zeit out. Er geht eher von einer geschlossenen Identität des Menschen aus und hat in seiner Aufforderung zum selbstverantwortlichen Handeln etwas sehr Moralisches an sich. Identitäten gelten heute jedoch als fluide. Und in meiner Jugend wollten wir nicht unbedingt selbstverantwortlich handeln, sondern vor allem alles Mögliche ausprobieren.

Heute ist die Jugend wieder politisch aktiv. Die Letzte Generation ist also eine Truppe von Existentialisten?

Ja, vielleicht. Mir scheint, dass der Existentialismus heute wieder verstärkt zum Tragen kommt. Sartre und Simone de Beauvoir sahen es als ihre Pflicht an, sich mit den Schwächsten der Gesellschaft zu solidarisieren. Jetzt gibt es eine junge Generation, die sagt: Unser Planet wird zerstört, er kann sich dagegen nicht wehren, also solidarisieren wir uns mit ihm. Sich an etwas anzukleben, ist ja erstmal ein riesiges Zeichen der Solidarität und kann unter diesem existentialistischen Aufruf verstanden werden.

Dass Orest den Mord an seinem Vater rächen will, kann als freiwilliger Akt interpretiert werden. Gleichzeitig werden diese Taten jedoch vorhersagt, wodurch sie wieder schicksalhaft erscheinen…

Klar, der Familienfluch, der Orest zum Morden verdammt, steht seinem freien Handeln gegenüber. Die große Umdrehung, die Sartre gegenüber der antiken Orestie vornimmt, liegt darin, dass er sagt: In dem Moment, in dem man begreift, dass man frei ist, handelt man auch frei und selbstverantwortlich. Das ist ein Lern- und Erkenntnisprozess, den Orest schmerzhaft durchlaufen muss.

Durch seine Tat erhofft er sich, kein Außenseiter mehr zu sein und Teil der Bürgerschaft zu werden.

Da legt Sartre Orest durchaus modern oder postmodern an. Orest spricht davon, sich zu keiner Gruppe zugehörig zu fühlen. Er hat keine Identität, fühlt sich so leicht, dass er davonschweben könnte. Darin finde ich auch meine eigene Generation wieder, die sagt: Ich habe so viele Möglichkeiten, ich kann alles machen, ich kann überallhin reisen, ich habe ein Übermaß an Freiheit und weiß gar nicht, wo ich mich selbst einordnen soll. Das ganze Leben wirkt beliebig. Erst in dem Moment, in dem Orest handelt, kommt er zu sich selbst und in der Gemeinschaft an. In unserer Interpretation des Stoffes ist die Umweltzerstörung die große Schuld der Stunde. Es geht dabei nicht nur um die Schuld des Einzelnen, sondern darum, ob wir uns als Gesellschaft verantwortlich fühlen und in Aktion treten wollen. Wobei dann jede und jeder Einzelne entscheiden muss, ob sie oder er sich in diese Gemeinschaft einschreibt.

Sein Schwester Elektra entscheidet sich ebenfalls zur Rebellion und wird von Ägisth verbannt.

Ja, sie ist sehr zentral bei uns. In der antiken Orestie wird sie eher als passive Beobachterin beschrieben, bei uns kennt sie sich viel besser in der Welt aus als Orest. Er kehrt in seine Heimat zurück und fühlt sich erstmal überfordert, sie hingegen hat das System jahrelang beobachtet und handelt mit ihm jetzt aus, was an Widerstand überhaupt möglich ist. Sie kommen zu unterschiedlichen Antworten, was sie wieder auseinanderreißt. Aber immerhin: Ihre Taten sind nicht egal, sondern sie haben eine Bedeutung!

Die titelgebenden Fliegen könnten für die Schuld der Menschen stehen. Im Stücktext werden sie aber auch als Rachegöttinnen oder Drohnen bezeichnet.

Sie sind auf jeden Fall ein Bild, das im Stück immer wieder neu besetzt wird. Es gab im Sommer eine Mückenplage, dieses Phänomen war als mögliche Folge des Klimawandels also ganz handfest existent. Gleichzeitig hatte ich eine starke Assoziation zu heutigen Überwachungsszenarien, von Drohnen, die über uns summen und surren, die alles scannen und aufnehmen. Die Fliegen sind Teil des Systems von Gott Jupiter, der bei Sartre eher als Vertreter bürgerlicher Moral erscheint. Bei uns gibt es die Göttin Jupita, die als Göttin des Marktes verstanden werden kann, mit den Fliegen als bedrohliches, militant wirkendes Mittel zur Überwachung.

Wie setzen Sie die Fliegen in Szene?

Wir haben uns für eine akustische Übersetzung entschieden, beziehungsweise, es gibt eine menschliche Verkörperung der Fliegen in Form eines Chors. Das sind 14 Sängerinnen und Sänger, die wir vor den Proben aus verschiedenen Kontexten gecastet haben. Das Summen der Fliegen war der musikalische Ausgangspunkt, aber das hat sich weiterentwickelt. Wir haben eine Chorleiterin, Maria Leitgab, die das Dirigat übernimmt. Für die Kompositionen und musikalische Leitung ist Max Kühn verantwortlich; Georg Stirnweiß, der zu der Band Slatec gehört, für die Live-Musik. Mit beiden Musikern habe ich schon gearbeitet.

Das ganze Stück ist sehr dunkel, es gibt die Fliegen, Morde, Zombies. Wird es ein Horror-Abend?

Unsere Soundwelt bewegt sich zwischen Choral und technoider Drone Music, das erzeugt schon eine albtraumhafte Stimmung. Für mich liegt der Horror eher in einer flirrenden Kälte; in den Dingen, die nicht ausformuliert werden. Thomas Köck schreibt von der "Haut des Planeten". Wenn man die abzieht, entdeckt man darunter vielleicht die leergepumpten Pipelines, die Adern der Erde. Das wird auch auf der Bühne wichtig sein: Was nur skeletthaft da ist, was überdeckt wird, was unter der Oberfläche lauert.

Premiere am 7. Oktober um 19.30 Uhr im Cuvilliéstheater, ausverkauft

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