Das Erbe der Aufklärung
Wenn man eine Diktatur durchlitten hat, sieht man manche Dinge klarer: „Ich verstehe nicht, weshalb es die Deutschen sein müssen, die als Allererste Werke für eine Ausstellung in diesem Museumsklotz liefern, der doch nur ein Prestigeobjekt des Regimes ist”, sagt Herta Müller dem „Focus”. Die Bilder seien nun „Dekoration für eine Propagandashow eines autoritären Regimes”.
Die Bilder, das sind die Gemälde aus Dresden, Berlin und München, die seit zehn Tagen die renovierten Wände des Nationalmuseums von Peking schmücken. Doch die Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung” ist spätestens nach der Verhaftung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei verständlicherweise in Verruf geraten.
Aber auch der Prozess der Aufklärung in Europa vor 250 Jahren war äußerst steinig und beschwerlich, gepflastert mit Rückschlägen. Wenn heute Millionen von Abiturienten noch die Definition vom „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit” (Kant, 1784) herunterbeten können, so sagt das wenig über die Ängste, Zweifel und Mühen, die in Europa die besten Köpfe beschäftigte.
In seinem Buch „Böse Philosophen” schildert der britische Historiker Philipp Blom packend und anschaulich, wie in dem Pariser Salon des Barons d’Holbach von Denkern wie Diderot, Rousseau, Hume und vielen anderen der moderne Mensch neu erfunden wurde. Dabei hat sich an den grundsätzlichen Fragen über Herrschaft und Abhängigkeit bis heute nichts geändert. „Alle Religionen geben vor, vom Himmel gekommen zu sein; alle verbieten sie den Gebrauch der Vernunft, alle geben vor, die alleinigen Besitzer der Wahrheit zu sein (...) und letztendlich sind sie alle falsch und voller Widersprüche”, schrieb der Baron, natürlich nicht unter seinem Namen. Das hätte um 1750 bei der französischen Zensur und dem großen Einfluss der Jesuiten noch den sicheren Tod bedeutet. Gibt es überhaupt einen transzendenten Sinn, eine Erlösung? Oder braucht der aufgeklärte Mensch diese (falschen) Gewissheiten, den Trost, gar nicht mehr? An diesen Fragen scheiterten auch die besten Freundschaften der Philosophen, die sich fast drei Jahrzehnte im Salon des Barons trafen.
Bloms Sympathien gehören klar dem großherzigen d’Holbach und dem unermüdlichen Diderot, der zwei Jahrzehnte im Bergwerk seiner (eigentlich verbotenen) „Encyclopédie” schuftete und das verfügbare Wissen der Welt auflistete. Der Sieg in der öffentlichen Wahrnehmung, so glaubt Blom, gehört hingegen Voltaire und Rousseau. Ersterer war ein Aufklärer von ganz pragmatischer Bösartigkeit, der mit seinem verzweigten Korrespondentennetz über ganz Europa häufig bewusst Politik spielte und Verwirrung stiftete – und schon deswegen die herrschende Ordnung nicht abschaffen wollte, weil er mit König und Adel beste Geschäfte machte – und die Macht des Plebs fürchtete.
Rousseau war schon zu Lebzeiten mit dem Begriff des Naturzustands des Menschen populär geworden und galt als überaus streitsüchtig. Der Mann, der seine Kinder ins Findelhaus gab, mit „Emile oder über die Erziehung” aber eine der einflussreichsten pädagogischen Schriften überhaupt verfasste, blieb für die Philosophenrunde im Hause des Barons allerdings ein zunehmend unlösbares Rätsel.
Philipp Blom: „Böse Philosophen” (Hanser, 400 Seiten, 24.90 Euro)
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