Das Buchmessegefühl

Ab ins Rezensionsgrab oder hoch in den Literatur-Himmel? Der Münchner Schriftsteller Hans Pleschinski über die Frankfurter Macht
von  Abendzeitung

Ab ins Rezensionsgrab oder hoch in den Literatur-Himmel? Der Münchner Schriftsteller Hans Pleschinski über die Frankfurter Macht

Mit einem Schriftsteller-kollegen muss ich noch abrechnen. Als ich vor Jahren und selig über ein neues Buch auf der Buchmesse eintraf, empfing mich U. H. mit dem Satz: „In der zweiten Zeile ist ein Druckfehler. Immmer mit drei ,m'." Mein gesamter Messeaufenthalt war vergiftet. Es war, als hätte Mozarts „Zauberflöte“ mit einem Pfeifkonzert begonnen.

An sich liebe ich die Buchmesse. Auf ihren schachbrettartigen Gängen spaziert man umher wie auf den Straßen Manhattans. An jeder dritten Ecke ist ein Plausch möglich. Bei der liebenswerten „Edition Epoca“ gibt es zwischendurch den besten Espresso und an den Abenden tobt am Main die größte literarische Festszene Europas. Wer wollte solches Highlife – trotz der körperlichen Ruinierung – vermissen?

Gefährlich bleibt der Messebesuch allerdings angesichts eines frisch publizierten Werks. Zu groß sind die inneren Spannungen, als dass ein Mensch sie eigentlich ertragen kann. Floppt das neue Buch gleich in Frankfurt? Oder wird die Messe zur Via Triumphalis? Für den Autor stellt sich schon bei der Anreise die Frage: Wie aufwändig oder bescheiden präsentiert der Verlag das neue Buch an seinem Stand? Haben die Damen von der Presseabteilung Interviewtermine vereinbart, oder muss sich der Autor scheinbeschäftigt auf einer schmalen Bank vor seinem Werk herumdrücken?

Man könnte verrückt werden

Neben einer Manhattenpromenade gleicht die Buchmesse nämlich auch einem Grabenkampf, bei dem die Festung namens „Aufmerksamkeit“ erstürmt werden soll, ein Bollwerk, das mit sämtlichen literarischen Inhalten eigentlich gar nichts zu tun hat.

Zwischen Euphorie und Suizid schwankt der Autor am Main: Immmer mit drei ,m' gleich in der zweiten Buchzeile, oder kommen sogar ausländische Fernsehteams vorbei, um den ewigen Poetenruhm zu zementieren?

Das vergangene Jahr zerrüttete die Nerven besonders heftig. Ich hatte einen Roman über Selbstmörder verfasst (die sich meistens nicht umbringen). Nicht zu Unrecht erwartete ich in den Messebeilagen der großen Zeitungen diese oder jene Resonanz. Ich saß im ICE von München nach Frankfurt, las begierig die Blätter und fand: nichts, keine Silbe zu fünfhundert Seiten Seelengroßepos. Mein Buch mißachtet, ich ignoriert, meine Lebensmühen ad absurdum geführt. Aus dem Hotelzimmer unter dem Dach wollte ich mich kurzzeitig auf die Straße stürzen. Doch das hätte allzu idiotisch angemutet: „Selbstmordromanautor richtet sich in Frankfurt!“ Todtrübe schlich ich über die Messe, wobei ich vergaß, dass die dicken Buchmesse-Beilagen eher ein Rezensionsgrab als Ruhmesförderung darstellen. Als am nächsten Tag in einem großen Blatt – als wunderbares Solo – ein Jubelartikel zum neuen Buch erschien, war wiederum die Freude kaum auszuhalten. (Welch Glück, daß ich nicht gesprungen war!) Doch was macht man mit Glück auf der Messe?

Was lesen Sie als Nächstes?

Den Verleger abküssen? Autorenkollegen entgegentrompeten: „Du, man feiert mich als Genie!" Mit meiner Euphorie wußte ich nicht, wohin. Also stürmte ich, Star des Tages, am Spätvormittag in ein Wirtshaus, verschlang ein Schnitzel, betrank mich, legte mich in die Badewanne und sang Lieder. Dies alles, das Erhängen am Stand der „Faz“ oder Flamencoschritte durch die Frankfurter Zeil, muss ein Autorengemüt auf der Messe gewärtigen und verkraften.

Dieses Jahr werde ich nicht nach Frankfurt reisen. Ich will einer der übelsten Fragen des Literaturbetriebs aus dem Wege gehen, nämlich: „Was schreiben Sie als Nächstes?“ Sie wird bevorzugt von Leuten gestellt, die das vorherige Buch noch nicht gelesen haben.

Hans Pleschinski

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