Darum wird das Seriencamp heuer zur digitalen Veranstaltung

München - Wie für viele Festivals galt auch für das Münchner Seriencamp in diesem Corona-Jahr: Absagen oder radikal umstrukturieren. Festivalmitbegründer Gerhard Maier entschied sich mit seinem Team den Weg des DOK.fests zu bestreiten. Sprich, als rein digitale Veranstaltung sowohl Serienfans als auch der Branche vom 5. bis 22. November eine Plattform zu bieten, um aus dem Wust an seriellen Angeboten die wichtigsten herauszudestillieren und Künstlern die Möglichkeit zu geben mit Produktionsfirmen in Kontakt zu treten.
AZ: Herr Maier, das Seriencamp wurde mit der Idee gegründet, Serien endlich im öffentlichen Raum, sprich im Kino, präsentieren zu können. Das ist nun nicht mehr möglich, dennoch findet es statt. Warum?
GERHARD MAIER: Unsere entscheidende Idee für die Gründung des Festivals war, aus diesem "immer mehr, immer mehr" an Serienangeboten die in unseren Augen relevantesten herauszufiltern. Dennoch sollten sich Serieninteressierte bei uns zusammenfinden, um endlich über das sprechen zu können, was sie gerade alle gleichzeitig gesehen haben. Dass im Kino jetzt nicht zu haben ist für uns schon ärgerlich. Aber dadurch, dass wir ein VOD-Angebot, sprich einen digitalen Watchroom haben, sollten sich zumindest alle Menschen, die auf diesen Service gehen, ein umfassendes Bild aus dem internationalen Serienangebot machen können.
Was hat es mit diesem Watchroom genau auf sich?
Wir haben eine Art Netflix gebastelt, auf dem einige Folgen der von uns ausgewählten 80 Serien abrufbar sind. Da kann man sich einloggen und kostenfrei zwei Wochen lang die verschiedenen Formate anschauen. Das Programm ist dabei eine bunte Mischung aus Welt- und Deutschlandpremieren und einigen bereits angelaufenen Serien wie "Years and Years", die unserer Meinung nach bisher unter Wert gelaufen sind.
Meier: Serien beim Thema Diversität dem Kino Jahre voraus
Was sind die Serientrends?
In diesem Jahr haben wir 350 Serien gesichtet, die aus über 45 Ländern, also mehr Ländern als jemals zuvor, stammen. Diese Vielfalt spiegelt sich nicht nur in den Herkunftsländern, sondern auch in den Erzählweisen wider, die häufig in der filmischen Tradition des jeweiligen Landes verwurzelt sind. Gleichzeitig zeigt sich auch in diesem Jahr die Vielfalt der Stimmen gerade im Hinblick auf das Thema Diversität. Da ist man dem Kino einige Jahre voraus. Ein weiterer Trend ist, dass der Fokus weg von den USA und hin zu Europa geht. Diese Entwicklung wurde durch die Covid-Krise beschleunigt, weil in den USA viele Projekte auf Eis liegen.
Was beim Seriencamp auch ins Digitale abwandern muss, sind die Podiumsdiskussionen.
Durch die Beschränkungen mussten wir einiges umstellen, weil nicht mehr alle Gäste anreisen können. Grundsätzlich ist es aber so, dass es vom 5. bis 7. November täglich von 15 bis 22 Uhr auf dem Kanal seriencamp.tv, der über unseren Watchroom läuft, einen Livestream geben wird. Die Aufzeichnungen finden im Literaturhaus statt. Aufgrund der Pandemie konzentrieren wir uns bei den Panels aber auf Deutschland. Dabei können wir schon erste Ausschnitte aus Serien wie der Münchner-Produktion "Katakomben" oder "Ich und die anderen" von David Schalko zeigen und mit den Verantwortlichen sprechen.
Ein wichtiges Standbein des Seriencamps ist, dass angehende Filmemacher ihre Serienideen Fachleuten aus der Branche vorstellen und im besten Fall auch verkaufen. Wie läuft das diesmal ab?
Das Netzwerken fällt leider flach. Für uns war aber wichtig, dass Autoren, die im Moment Schwierigkeiten haben, ihre Stoffe an den Mann zu bringen, eine Plattform bekommen. Diese Plattform heißt bei uns Pitchpool, auf der 75 Projekte aus 18 Ländern zu sehen sind. Interessierte von Sendern und Produktionsfirmen können diese Clips sehen und bei Interesse direkt mit den Machern in Verbindung treten.
Das Seriencamp wird von Sponsoren finanziert, deren Serien dann auch auf dem Seriencamp zu sehen sind. Ist da noch eine Unabhängigkeit gewährleistet?
Es ist richtig, dass ein Großteil des Budgets aus dem Sponsoring kommt, unterstützt werden wir aber auch vom FFF Bayern und vom Digitalministerium. Aus der Auswahl an Serien, die uns unsere Partner zur Verfügung stellen, können wir jederzeit welche ablehnen. In diesem Jahr stammen ein Drittel der Serien von den Sponsoren, den Rest haben wir selber ausgesucht.
Seriencamp-Mitbegründer Maier: Masse der Serien geht zu Lasten des Kinos
Serien werden gerade für jüngere Zuschauer immer wichtiger. Doch was bedeutet das für das Medium Film und damit auch für die Kinos?
Diese Masse an für alle überall verfügbaren Serien geht auf jeden Fall zu Lasten des Kinos. Was man allein daran sieht, dass die, die am wenigstens schlecht aus diesem Jahr herausgehen, die Streamingdienste mit ihren steigenden Abozahlen sind. Wenn man offen und ehrlich ist, liegt dieser Trend aber auch an der Kinobranche selbst, die relativ starr auf viele Entwicklungen der letzten zehn Jahre, sprich das Aufkommen der Streamer und des VOD reagiert hat. Viele begabte Kreative wandern auch zu den Streamingdiensten, zu den Serien ab, weil es dort mehr Geld zu verdienen gibt und man den Anschein auf mehr kreative Freiheit hat. Das Kino ist für mich jedoch unersetzlich, müsste sich vielleicht aber an manchen Stellen neu erfinden und ein paar der alten Strukturen überdenken. Wir brauchen mehr Filme für ein junges Publikum vom Kaliber eines "Parasite" oder "The Favourite" und weniger mittelmäßige Filme, die einfach nur die bestehenden Strukturen erhalten.
Weitere Infos zum Programm bei www.seriencamp.tv