Da macht die Berlinale Spaß

Filme aus dem Iran und Frankreich bieten viel Routine, dann rettet Josef Hader die Filmfestspiele
Margret Köhler |
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In der Tragödie vereint: Polizistin Andrea (Birgit Minichmayr) und der Religionslehrer Franz (Josef Hader).
Majestic 3 In der Tragödie vereint: Polizistin Andrea (Birgit Minichmayr) und der Religionslehrer Franz (Josef Hader).
Seniorenliebe in Teheran: Lily Farhadpour und Esmail Mehrabi in "My favourite Cake".
Hamid Janipour 3 Seniorenliebe in Teheran: Lily Farhadpour und Esmail Mehrabi in "My favourite Cake".
Laserschwerter in Frankreich: Brandon Vlieghe in der "Star Wars"-Persiflage "L' Empire" von Bruno Dumont.
Tessalit Productions 3 Laserschwerter in Frankreich: Brandon Vlieghe in der "Star Wars"-Persiflage "L' Empire" von Bruno Dumont.

Trotz des Publikumsansturms am Wochenende: So richtig in Fahrt ist die Berlinale noch nicht gekommen. Aber heute steuert das Festival auf einen Höhepunkt zu: die Verleihung des "Goldenen Ehrenbären" für sein Lebenswerk an Martin Scorsese, die Regielegende des US-Kinos. Seit "Mainstream" von 1973 zählt der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent zu den ganz Großen des Filmbusiness.

Seine Werke wie "Wie ein wilder Stier", "Taxi Driver" mit seinem Lieblingsschauspieler Robert de Niro, mit dem er schon als 16Jähriger durch New Yorks Little Italy zog, oder "Gangs of New York" sind Filmgeschichte. Für "The Departed" erhielt er 2007 endlich den verdienten Oscar für die Beste Regie. Im Anschluss an die Verleihung wird dieses Meisterwerk über Gewalt und Verrat im Mafia-Milieu gezeigt. Die Hände in den Schoß legt der 81-Jährige noch lange nicht, auf der Agenda steht noch ein Film über Roosevelt.

An Favoriten im Wettbewerb fehlt es noch. Aber es gibt einen absoluten Lieblingsfilm von Publikum und Presse der iranische Beitrag "My favourite Cake". Im heutigen Teheran entschließt sich eine 70-Jährige (Lily Farhadpour) viele Jahre nach dem Tod des Ehemannes ihre Einsamkeit zu beenden. Sie schaut sich in einem Rentnerlokal einen gleichaltrigen Taxifahrer aus (Esmail Mehrabi), lässt sich von ihm nach Hause fahren und lädt ihn ein. Wie die Senioren flirten, verbotenerweise Wein trinken, tanzen und einen kurzen Augenblick des Glücks erwischen, ist herzergreifend und gleichzeitig auch ein bisschen traurig, so ganz ohne Happy End, aber mit einem skurrilen Ende.

Gedreht im Verborgenen

Nach ihrem ersten Film "Ballade von der weißen Kuh" (Berlinale, 2021) blicken die iranischen Filmemacher Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha erneut auf ihr Land unter der Mullahdiktatur und drehten viel im Verborgenen. Mit dem Bild einer Frau, die ihr Leben genießen will, überschreiten sie bewusst Rote Linien. Da verhaftet die Sittenpolizei im Park junge Frauen, weil das Kopftuch nicht richtig sitzt, öffentliche Treffpunkte sind Tabu. Nachbarn beobachten und kontrollieren, was sich im Nebenhaus tut. Dann erinnern sich ältere Damen an die Jugend, als sie noch mit High Heels und Ausschnitt in die Öffentlichkeit durften, statt heute unter "Hidschab und in Sneaker".

Die Regisseure erhielten Reiseverbot für Berlin. An ihrer Stelle verlas Schauspielerin Faradpour nach der Premiere eine Erklärung, in der beiden ihren Film den protestierenden Frauen im Iran widmeten.

Das französische Kino ist in diesem Jahr stark vertreten. Die Altmeister Olivier Assayas und Bruno Dumont sorgten nicht nur für Freude. Assayas nimmt uns mit in den April des Jahres 2020. Der Filmregisseur Etienne und sein Bruder Paul, ein Musikjournalist (Micha Lescot, Vincent Macaigne), verbringen mit ihren Freundinnen den Lockdown auf dem Land, im Hause ihrer Eltern. Man kocht gerne, speist gemütlich im Grünen und versucht, das Beste aus der Situation zu machen, sich zu entspannen, spielt Tennis, liest viel und chattet auch schon mal mit der Therapeutin.

Jeder Raum, jedes Möbelstück, alles erinnert die Brüder an ihre Kindheit. Assayas setzt Versatzstücke zusammen, mal komisch, mal surreal, mal melodramatisch, Etienne sorgt sich um seine Zukunft als Regisseur und flüchtet in Manierismen und panische Angst vor Covid, Paul reagiert sich beim Crepe-Zubereiten ab. Beide pflegen akribisch ihre Neurosen.

Auf die Neurose eins draufgesetzt

Autobiografische Bezüge leugnet Assayas nicht: "Ich bin neurotisch, habe aber noch eins draufgesetzt." Der eingeschränkte Alltag läuft nach bestimmten Ritualen ab und im Garten oder feinen Haus wird endlos diskutiert, über das Leben und die Liebe, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über Musik und Film, Malerei und Literatur. Französische Lebensart in einer lockeren Komödie, das kann teilweise amüsant und sympathisch sein, auch ziemlich überflüssig.

Bei "L'empire" von Bruno Dumot schüttelt man erst einmal den Kopf und fragt sich, was diese Persiflage auf die "Star Wars-Filme" mit Laser-Schwertern, Schwarzen Löchern und herumkurvenden Raumschiffen soll. In einem kleinen Ort an der Küste Nordfrankreichs wird ein Kind geboren, der zukünftige Prinz der Finsternis, und löst einen Krieg zwischen außerirdischen Mächten aus, den Nullern und den Einsern, zwischen Gut und Böse.

Der Konflikt wird auf der Erde ausgetragen und mit philosophischen Nichtigkeiten verziert. Mal sind die Erdbewohner liebenswert und amüsant, dann sollte man das Böse in ihnen mit Stumpf und Stiel ausrotten. Die Außerirdischen nehmen menschliches Aussehen an, bleiben aber untereinander Feinde, dürfen sich nicht mischen. Und wenn sie mal Instinkt und Begierde in freiere Natur übermannt, dann heißt es lapidar "wir vögeln und das Leben geht weiter".

Für den Regisseur ist das visuell außergewöhnliche Spektakel eine "galaktische Metapher für den inneren Kampf eines jeden Menschen zwischen Gut und Böse". Darauf muss man wirklich erst kommen.

Ein unschlagbares Außenseiterduo

Totale Begeisterung beim Publikum herrschte über die tiefschürfende Komödie "Andrea lässt sich scheiden" von und mit Josef Hader in der Sektion "Panorama". Schwarzer Humor trifft auf scharfsinnige Beobachtung des nicht so heilen Landlebens. Der Kabarettist und Schauspieler entführt in seiner zweiten Regiearbeit nach "Wilde Maus" in eine Provinz, die er selbst "bis zum 20. Lebensjahr am eigenen Leib erlebt" hat. Eine Gegend, wo die Frauen weggehen und die Männer sich mit Waffen oder Alkohol vergnügen und immer noch auf plumper Anmache stehen.

Für Polizistin Andrea ist endlich eine Stelle in der nahen Stadt in Sicht und dann macht ihr das Schicksal einen Strich durch die Rechnung, ihr besoffener Nochmann läuft nächtens vor ihr Auto. Schweigen oder die Wahrheit sagen? Sie trifft eine fatale Entscheidung.

Birgit Minichmayr als Frau vor dem Karrieresprung und Hader als verlotterter Religionslehrer von Gestern, ein trockener Trinker, der wieder zur Flasche greift, sind ein unschlagbares Außenseiterduo, das man schon wegen seiner Skurrilität und Lakonie ins Herz schließt. Nach diesem filmischen Seelenstreichler ist sie plötzlich wieder da, die Lust und Neugier aufs Kino. Und die Berlinale macht wieder Spass.

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