Coldplay: Luftballons für den Luftikus

Die britische Erfolgsband Coldplay im Reitstadion Riem: Zwei Stunden Wohlfühl-Popkino, in dem der perfekt geölte Showmotor auch mal stottern darf.
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MÜNCHEN - Die britische Erfolgsband Coldplay im Reitstadion Riem: Zwei Stunden Wohlfühl-Popkino, in dem der perfekt geölte Showmotor auch mal stottern darf.

Der Spot ist an. Chris Martin hängt über seinem Klavier. Ganz allein auf der Bühnenrampe. Schwitzend. Konzentriert. Vertieft in den Schmelz der Schmachtballade „The Hardest Part“. Tausende Zuschauer lauschen ergriffen. Wagen kaum zu atmen. Doch plötzlich hält Martin inne. Ruft nicht zu überhören „Fuck“! Er verspielt sich. Der Text ist weg. Ausgerecht beim emotionalen Konzerthöhepunkt. Die Zuschauer sind gespannt, wie sich der Superstar aus der peinlichen Situation herausmanövriert. Martin muss lachen. Blitzartig improvisiert er und baut seinen Fauxpas wunderbar selbstironisch („I Try To Sing…“) in den Song ein. Die Fans klatschen erleichtert. Zeigt der Frontmann der britischen Erfolgsband Coldplay doch mit diesem menschlichen Aussetzer, dass bei einem wunderbaren Popabend der perfekt geölte Showmotor auch mal stottern darf.

Ansonsten verbreiten Bühnenderwisch Martin und seine drei zurückhaltenden Bandkollegen im restlos ausverkauften Reitstadion Riem mit eingängigen Hits wie „Clocks“ zwei Stunden Wohlfühl-Popkino der gehobenen Sorte. Bereits der Einstieg folgt dem dramaturgisch glänzend aufgebauten Open-Air-Unterhaltungsprinzip. Da legt wie aus dem nichts ein Bühnenarbeiter plötzlich einen Breakdance hin, bevor er vom Walzerintro „An der schönen blauen Donau“ musikalisch abrupt unterbrochen wird. Sind die letzten Strauss-Klänge verstummt entern Coldplay mit dem markanten Instrumentalstück „Life In Technicolor“ unter einem meterhohen „Die Freiheit führt das Volk“-Prospekt nach Eugène Delacroix die Bühne Mit einem charmant gebrochenen „Guten Abend, meine Freunde“ begrüßt Martin die enthusiastischen Fans, rennt, tänzelt, hüpft und grinst so enthemmt, dass man sich seinem Charme einfach nicht entziehen kann. Und auch sein butterweicher Gesang durchbricht mühelos die kleinen Übersteuerungen, die am Anfang noch den Genuss trüben.

Zielsicher wechselt Coldplay während des Showprogramms zwischen melancholischen Balladen („Fix You“) und hämmernden Rockausbrüchen („Politik“). Dabei überzeugt auch die abwechslungsreiche visuelle Untermalung, die von rauschenden Weltraumvideoprojektionen, gelbem Luftballonregen („Yellow“), buntem Schmetterlingskonfetti („Lovers In Japan“) bis zum gloriosen Zugabe-Schlussfeuerwerk („Life In Technicolor II“) reicht. Rauschender Höhepunkt ist die „Viva La Vida“-Stadionhymne, deren „Ohohohoh“-Refrain, intoniert aus tausenden Kehlen, durchaus die Stimmungsqualität eines „Seven Nation Army“ erreicht.

Natürlich fehlt an diesem Abend auch keine King Of Pop-Hommage. Für die „Billie Jean“-Akustikversion bahnt sich Coldplay extra den Weg durch die Menge auf eine Mini-Bühneninsel vor der Tribüne. Schelmisch grinsend imitiert Martin dann perfekt die Jacko-Kiekser und raubt der sentimentalen Gefühlsattacke damit jeden Anflug von Kitsch.

Florian Koch

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