Coachen für den Asylantrag
Rundum überzeugend: „Letztes Territorium“ beim Festival „Radikal jung“ im Volkstheater
Im Kurzurlaub auf Fuerteventura spuckt das Meer dem 16-jährigen Moritz und seiner Mutter Melanie einen halbersoffenen algerischen Flüchtling vor die Füße. Der Gymnasiast gibt Mehdi seine Stuttgarter Adresse. Und bald taucht Mehdi dort auf. Illegal natürlich. Aber der Autorin Anne Habermehl (Jahrgang 1981) geht es in ihrem Stück „Letztes Territorium“ weniger um die Asyl-Problematik, sondern sie entlarvt pointiert Vorurteile, falsche Vorstellungen und Klischees. Corinna Sommerhäusers komödiantisch-witzige Uraufführungs-Inszenierung fürs Hamburger Thalia Theater glänzte beim Festival „Radikal jung“ im Volkstheater als bisher überzeugendste Produktion.
Nur vier Sitzwürfel vor meerblauer Tapetenwand (Bühne: Martina Stoian) brauchen die Schauspieler für ihr schnelles, körperstarkes Spiel. Melanie hat als Sachbearbeiterin im Einwohnermeldeamt täglich mit Migranten zu tun und kippt immer mehr Pernod in sich hinein, weil ihr Mann sich abgesetzt hat, um Zeitungskarriere zu machen. Wunderbar komisch spielt Natali Seelig Wut und Lebenshunger, Sarkasmus und Hilflosigkeit. Moritz (Claudius Franz) will seinen Vater (Christoph Tomanek) für Mehdis Geschichte einspannen, doch das läuft in die falsche Richtung.
Der Asylant als Spießer
Denn Mehdi (Asad Schwarz-Msesilamba) ist ein Wirtschaftsflüchtling, kein Revoluzzer oder Folteropfer. Er nennt sich selbst einen Spießer, will einen guten Job und ein gutes Leben in Deutschland. Melanie coacht ihn für den Asylantrag und malt ihm das Gesicht schwarz, bis er mault: „Jetzt fehlt mir wirklich nur noch ’ne Banane.“
Mehdi ist selbstbewusst und anspruchsvoll. Er fordert Geld von Moritz, der ihn versteckt, für ihn stiehlt und dennoch von ihm beschimpft wird. Rassismus entsteht aus Rechtlosigkeit, aber auch aus Naivität und Idealismus. Das macht das etwas dick aufgetragene mörderische Ende klar. Moritz ersticht einen aufdringlichen afrikanischen Drogendealer und entschuldigt sich: „Das war nicht ich, das war was Fremdes in mir, was aus Algerien.“
Gabriella Lorenz
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