Christoph Poschenrieders Roman "Mauersegler"

Der Münchner Autor lässt in seinem Roman eine Gruppe alter Freunde die letzten Dinge regeln
Philipp Seidel |
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Der Münchner Autor lässt in seinem Roman eine Gruppe alter Freunde die letzten Dinge regeln

Sie waren erfolgreich im Beruf und haben ihre Spuren hinterlassen, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft. Nun sind sie alt, wohlhabend und mehr oder weniger frei von Frauen und Kindern. Fünf Herren, seit Kindestagen miteinander befreundet, kommen gegen Ende ihres Lebens als verschworenes Quintett wieder zusammen, um miteinander die letzten Jahre zu erleben. Sie haben nämlich eine „Heidenangst vor dem Alleinsein im Alter“. Der Münchner Autor Christoph Poschenrieder lässt in seinem vierten Roman „Mauersegler“ (Diogenes) den Ich-Erzähler Carl von diesem Freundes-Alters-Projekt berichten. Der Software-Millionär Ernst als der Reichste der fünf nicht Armen lässt eine alte Villa am Starnberger See zur exklusiven Senioren-WG umbauen, in der die Herren einziehen.

Es kommt zu den üblichen Situationen, die man auch aus Jung-WGs kennt: Schuhe ausziehen oder anlassen? Nervt mein Hobby die anderen? Die Presse schaut vorbei und berichtet über die skurrile Wohngemeinschaft. Man richtet sich ein und kümmert sich nicht darum, was die anderen über einen denken. Man tut wie der Mauersegler, der laut Brehms Tierleben „nicht einmal mit seinesgleichen in Frieden lebt und unter Umständen andern Tieren ohne Grund beschwerlich fällt“. – „Einer wie wir“, stellt Carl trocken fest. Und wie es im Alter so ist: Irgendwann muss man sich die Frage stellen, wie es denn zu Ende gehen soll. Endgültig. Wilhelm, Heinrich, Ernst, Siegfried und Carl wollen nicht an Schläuchen in irgendwelchen Klinikbetten enden. Carl möchte am liebsten sterben wie die eleganten Mauersegler, die praktisch alles im Flug machen: „Der Mauersegler legt die Flügel an und will nicht mehr fliegen. So soll es auch mit mir zu Ende gehen.“ Sie beschließen, einander Gift einzuflößen, wenn der Lebenswille weg ist. Dafür wird ein Computerprogramm ausgetüftelt, mit dem jeder Bewohner seinen „Todesengel“ erwählen kann. Der soll dann, ohne dass die anderen es erfahren, seinen Dienst verrichten. Doch schon vorher kommen Vergänglichkeit und Vergangenheit auf das noble Anwesen: „Der kleine Martin“, ursprünglich der Sechste in der Runde, ist als Kind beim gemeinsamen Spielen auf dem Eis eingebrochen und ertrunken. Nun holen die fünf Freunde seinen Sarg zu sich in den Garten. So schwer das Thema klingt, mit dem man täglich in den Nachrichten konfrontiert wird – Poschenrieder verleiht ihm Witz und Leichtigkeit.

Seine fünf Helden gehen mit dem Altern unterschiedlich um, doch statt Angst und Schrecken macht sich beim Leser eine versöhnliche Stimmung breit. Das liegt vor allem an der sanften Ironie, die sich durch die Erzählung zieht. „Unsere Komödie – mit ein paar tragischen Einsprengseln, zugegeben – befindet sich nunmehr im finalen, fünften Akt“, erzählt Carl gleich zur Einleitung. Das ist mal eine entspannte Haltung! Und später: „Wir reden auch über das Sterben. Das sind lustige Unterhaltungen.“ Dann machen die Freunde Witze über ihre möglichen Grabstein-Inschriften: „Das ist nicht mein Grabstein. Hier ruht ... wie hieß er noch?“ Und warum auch nicht? Die fünf Freunde können sich schließlich schon aus wirtschaftlicher Kraft ein Lebensende nach Wunsch leisten. Dafür wird eine kirgisische Pflegerin ins Haus geholt. Außerdem muss der Dorfarzt sanft gestimmt werden, um der Todesursache nicht zu genau auf den Grund zu gehen. Ehemalige Alphatiere können sich das natürlich leisten. Für den Durchschnittsbürger dürfte das freilich kein Ausstiegsmodell sein. Poschenrieder spielt in „Mausersegler“ auch mit seinem eigenen früheren Werk und lässt Carl von einem Buch über einen Spiegelkasten erzählen – „Der Spiegelkasten“, erschienen 2013, ist Poschenrieders zweiter Roman. In „Mauersegler“ erzählt Poschenrieder, 1964 bei Boston geboren und heute in München lebend, seine Geschichte wieder angenehm ungekünstelt. Er nimmt dem Alter den Schrecken. Man spürt auf jeder Seite die Schwere des Themas – und findet sich doch immer wieder lächelnd.

Christoph Poschenrieder: „Mauersegler“ (Diogenes, 220 Seiten, 22 Euro)

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