Zum Tod von Hans Neuenfels: "Theater muss immer anecken"
Er galt als Inbegriff des sogenannten Skandalregisseurs, und die Aida als Putzfrau in seiner legendären Inszenierung von Verdis Oper in Frankfurt ist sprichwörtlich geworden. Am Sonntag starb Hans Neuenfels im Alter von 80 Jahren in Berlin, wie seine Familie über einen Anwalt mitteilte.
Neuenfels: Gefragter Regisseur im gesamten deutschsprachigen Raum
Der am 31. Mai 1941 in Krefeld Geborene studierte Regie am Max Reinhardt Seminar in Wien, wo er auch seine spätere Ehefrau Elisabeth Trissenaar kennenlernte, die häufig große Rollen in seinen Inszenierungen spielte. Er begann seine Laufbahn als Regisseur am Wiener Theater am Naschmarkt. Im Laufe seiner jahrzehntelangen Karriere inszenierte Neuenfels unter anderem am Schauspiel Frankfurt, in Stuttgart, Hamburg, Berlin, München, Zürich und Wien.

Von 1986 bis 1990 war er Intendant der Freien Volksbühne Berlin. Neuenfels drehte auch Filme, etwa über Heinrich von Kleist oder Jean Genet, und war ein leidenschaftlicher Autor: 2011 erschienen seine Memoiren mit dem Titel "Das Bastardbuch - Autobiografische Stationen".
Neuenfels: Kontroverse Neuinterpretation von Verdi Opern
Die größte öffentliche Aufmerksamkeit galt aber Neuenfels' Arbeiten am Musiktheater. Sein Debüt gab er 1974 mit Giuseppe Verdis "Troubadour" in Nürnberg - selbstredend begleitet von heftigen Buh-Rufen. Die Frankfurter "Aida" eroberte dieses unverwüstliche Ausstattungsstück für das Regietheater. Neuenfels verweigerte das Ägyptische keineswegs, sortierte es aber in die Exotismus-Moden des 19. Jahrhunderts ein.
Die Titelheldin erschien keineswegs durchgehend als Putzfrau, sie wurde nur von Amneris im Moment der tiefsten Erniedrigung gezwungen, den Boden aufzuwischen. Und das war, wie vieles, was Neuenfels inszenierte, keineswegs ein bloßer Gag, sondern eine aktualisierende Umsetzung dessen, worum es geht, wenn man diese Oper als Drama ernst nimmt.
Neuenfels' damals radikal neue Sicht wurde vielfach kopiert - wie etwa der Anfang in einem ägyptischen Museum. Für die stärkste Erregung sorgten damals übrigens Rauchschwaden in der Erstickungs- und Grabszene, die seinerzeit - ob zu Recht oder zu Unrecht - als Anspielung auf Nazi-Gaskammern verstanden wurde. Und natürlich die Brathähnchen, mit deren Hilfe die Ägypter den unterlegenen barbarischen Nubiern kultivierte Tischsitten nahebrachten. Die flogen seinerzeit, so die Fama, vom Chor in Richtung des Dirigenten Michael Gielen, der damals als Intendant die Frankfurter Oper leitete.
Provokation als Stilmittel in Neuenfels Aufführungen
Neuenfels polarisierte später in Berlin mit Verdis "La forza del destino". An der Deutschen Oper entwickelte er auch seinen Spätstil mit heiter choreografierten Rhythmen in tragischen italienischen Opern und den als Tiere kostümierten Chorsängern. 2010 setzte die Intendantin Kirsten Harms seine sieben Jahre alte Version von Mozarts "Idomeneo" ab, in der am Ende die Gründer großer Weltreligionen geköpft wurden, was sich - wie Aida als Putzfrau - durchaus aus dieser Oper ableiten lässt, die sich mit Vaterfiguren und Vatermächten kritisch auseinandersetzt.
Hintergrund war eine Gefährdungsanalyse des Landeskriminalamts Berlin, die im Kontext des Streits um die dänischen Mohammed-Karikaturen erstellt wurde. Darin heißt es, dass "Störungen der Aufführungen nicht ausgeschlossen werden können". Konkrete Terrordrohungen lagen jedoch nicht vor.

Neuenfels: Theater muss anecken und viel riskieren
Wirbel gab es auch schon 2001 bei einer psychoanalytisch gefärbten Version der "Fledermaus" von Johann Strauß, mit der sich der Intendant Gerard Mortier absichtsvoll provokativ von den Salzburger Festspielen verabschiedete. Noch mehr wie die Koks-Orgien dieser Neuenfels-Inszenierung provozierte allerdings der Stimmkünstler David Moss als falsettierender Prinz Orlofsky.
Theater müsse "immer anecken und auch viel riskieren", sagte Neuenfels einmal. Das Theater der Gegenwart sei oft "zu ängstlich und sehr bescheiden, sehr zurückhaltend und auf sich selbst bezogen", meinte er. "Man muss mit dieser Gesellschaft kämpfen, so ist Theater auch immer gewesen."
Bühnenarbeit für Neuenfels eine große Bereicherung
2014 zog sich Anna Netrebko nach Meinungsverschiedenheiten aus Neuenfels' Münchner Inszenierung von Puccinis "Manon Lescaut" zurück. Zuletzt inszenierte der Regisseur altmeisterlich-klassisch in weißen Räumen etwa die Uraufführung von Miroslav Srnkas Oper "South Pole" im Nationaltheater und 2018 in Salzburg Peter Tschaikowskys "Pique Dame".
"Ohne Theater und Oper hätte ich ein für mich nicht gelungenes Leben geführt, sie waren meine Rettung und mein Glück", resümierte Neuenfels 2010. "Die Bühnenarbeit hat mir eine unglaubliche Kraft gegeben, es war eine große Bereicherung meines Lebens."
Zuletzt wurde Neuenfels auch verhalten geliebt: Als sein "Lohengrin" 2015 Abschied von der Bayreuther Festspielbühne nahm, tobten die Besucher vor Begeisterung. Die bei der Premiere 2010 noch ausgebuhte Inszenierung bei den Richard-Wagner-Festspielen, mit dem Chor in putzig-bedrohlichen Rattenkostümen, hatte da längst Kultstatus erreicht.