Wiebke Puls über "América" nach dem Roman von T.C. Boyle

T.C. Boyles 20 Jahre alter Roman „América“ ist erstaunlich aktuell. Morgen hat die Bühnenfassung mit Wiebke Puls in den Kammerspielen Premiere
Mathias Hejny |
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Szene aus "América" nach dem Roman von T.C. Boyle.
Arno Declair Szene aus "América" nach dem Roman von T.C. Boyle.

Mit dem Stücktitel „América“ ist der gleichnamige Doppelkontinent nur in übertragenem Sinne gemeint. América ist eine junge Mexikanerin, die illegal und zunächst hochschwanger mit ihrem Freund in Los Angeles lebt. Die andere Frau ist die Immobilienmaklerin Kyra, verheiratet mit einem Öko-Publizisten. Wiebke Puls spielt diese erfolgreiche Geschäftsfrau in der Bühnenfassung des Romans „América“ von T. C. Boyle. Regisseur ist Stefan Pucher. Die Abendzeitung sprach mit der gebürtigen Nordfriesin vor der morgigen Premiere über Leonard Cohen, Donald Trump und ihre ersten elf Jahre im Kammerspiel-Ensemble.

AZ: Im Januar überraschten Sie mit einem Leonard-Cohen-Programm im Milla-Club. Warum der melancholische Kanadier?

WIEBKE PULS: Er ist ein Held meiner Kindheit. Mein Vater hatte eine umfangreiche Plattensammlung. Nur ein paar Zentimeter des Regals waren Pop, Rock und Folk vorbehalten: Cohen, Simon & Garfunkel, Cat Stevens, zwei Beatles-Platten und eine Scheibe Elvis. Die Stones gab es nicht. Singer-Songwriter wurden meine Leidenschaft. Ich liebe transparente Musik und gesungene Poesie. Schlicht und ergreifend.

Wer ist Kyra, die Sie in „América“ spielen?

Sie ist eine pragmatische Frau, die sich in der Leistungsgesellschaft am rechten Platz fühlt. Eine, die anstandshalber moralisch-ethische Grundsätze durchwinkt, jedoch die Gesetze des Marktes verinnerlicht hat. Diese Verkörperung des Turbo-Kapitalismus ist natürlich keine charmante Aufgabe. Hier in München können womöglich 90 Prozent aller Leute diese Position gut nachvollziehen. Aber wer sympathisiert schon mit sowas?

Der Roman ist gut 20 Jahre alt, spielt jenseits des Atlantiks und liest sich doch wie gerade eingespuckt in die aktuelle Flüchtlingskrise in Europa.

Nicht nur in Europa. Wenn Donald Trump jetzt über seine Mauer an der mexikanischen Grenze redet, ist das identisch mit der Argumentation der Wohlständler im Buch. Als es für eine Inszenierung hier ausgesucht wurde, war die politische Situation auch bei uns noch nicht so zugespitzt. Aber es war für uns ein frappierender Moment zu begreifen, dass wir hier einen Stoff am Wickel haben, der die aktuelle Situation widerspiegelt und sich gleichzeitig auf ein anderes Land vor 20 Jahren berufen kann.

Sie sind seit elf Jahren an den Kammerspielen und haben in dieser Zeit vier Intendanzen erlebt. Wie hat sich das Haus in dieser Zeit entwickelt?

Die Kammerspiele verändern sich kontinuierlich und ich persönlich bin aus verschiedenen Gründen dankbar dafür. Ich zähle mich zum fahrenden Volk, aber das mache ich aus familiären Gründen nicht mehr. Deswegen bin ich froh, dass sich das Karussell dreht und nicht ich mich von Theater zu Theater bewegen muss. Als ich zu Frank Baumbauers Zeiten herkam, fand ich das Schönste und Intakteste vor, das ich je erlebt habe. Von diesem Niveau und Ensemblegeist zehrt das Haus heute noch. Johan Simons hat davon sehr profitiert und das Ensemble kaum verändert. Erst jetzt haben wir einen klassischen Wechsel, im Zuge dessen die Hälfte der Schauspieler ausgetauscht wurden. Ich finde das sehr folgerichtig. Neue Konstellationen brauchen Zeit und Zutrauen. Das neue Ensemble ist kommunikationsfähig, aufgeschlossen, flexibel und spendet neue Impulse.

Dem wird in der Öffentlichkeit nicht durchweg zugestimmt.

Es arbeitet bereits viel besser zusammen als gerade anerkannt wird. Als ich hier ankam, waren die Kammerspiele in meiner Wahrnehmung ein sicherer Hort. Damals hat sich für mich ein Maßstab entwickelt. Jetzt bin ich elf Jahre älter, und zum Altern gehört, dass man an Errungenschaften festhält, die sich gut anfühlten. Je älter man wird, desto schlimmer wird das. Der Grat zum Spießertum ist schmal. Es ist eine große Aufgabe für alle, sich selbst die Frage zu beantworten: An welchem Punkt bin ich einfach nur nostalgisch? Unsere Gesellschaft kann sich klammernden Stillstand nicht leisten und also auch ihr Theater nicht. Diese Ängste vor einer latenten Bedrohung dessen, was ich mir einmal erarbeitet habe, dürfen mir nicht im Wege stehen, Neues kennenzulernen.

Münchner Kammerspiele (Kammer 1), Premiere morgen, 19.30 Uhr, nächste Vorstellungen 13., 16., 21., 29. Mai, Karten unter Telefon 233 966 00

 

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