Kritik

Wer liebt, der leidet: "Was ihr wollt" in den Kammerspielen mit Wiebke Puls

Die belgische Regisseurin Lies Pauwels inszeniert die Komödie von Shakespeare im Schauspielhaus.
von  Michael Stadler
Konstantin Schumann und Wiebke Puls in "Was ihr wollt" in den Kammerspielen.
Konstantin Schumann und Wiebke Puls in "Was ihr wollt" in den Kammerspielen. © Maurice Korbel

Ach, wie schön wäre es, wenn man die Person, in die man sich verliebt hat, automatisch an sich binden könnte. Eine Hundeleine hat Gräfin Olivia in ihrer Hand. Das Objekt ihrer Liebe, Cesario, hält sie am anderen Ende fest, doch er streift irgendwann die Schlinge um seinen Hals einfach ab und geht. Die Gräfin bleibt allein zurück, zieht per Knopfdruck die lose Schnur ein, der Schmerz steht ihr ins Gesicht geschrieben. Man kann den anderen nun mal nicht an die Leine nehmen.

Cesario, der eigentlich eine Frau, Viola, ist, hat sich wiederum in den Herzog Orsino verliebt. In einigem Abstand stehen die beiden einmal vorne an den Mikros. Mutig überbrückt Viola/Cesario die Distanz, kommt Orsino nahe. Ein Kuss liegt in der Luft, aber Orsino hat letztlich nur eine im Kopf: die Gräfin Olivia. Weinend geht Viola nach hinten ab, selbst der Narr kann sie nicht trösten.

Orsino liebt Olivia. Olivia liebt Cesario, der eigentlich Viola ist. Und Viola liebt Orsino. So einfach lässt sich das zusammenfassen, aber in Shakespeares "Was ihr wollt" tobt ein Gefühlschaos, das so verzweigt ist, dass man doch leicht den Überblick verlieren kann.

Vinzenz Sommer, Wiebke Puls, Johanna Eiworth und Christian Löber spielen Shakespeare.
Vinzenz Sommer, Wiebke Puls, Johanna Eiworth und Christian Löber spielen Shakespeare. © Maurice Korbel

Eine Komödie soll das Stück sein, aber es steckt auch viel Tragödie drin. Die Liebe ist nun mal ein komplexes Ding. Oder wäre es nicht wesentlich erträglicher, ein Kinderspiel in ihr zu sehen, locker-leicht, gar nicht so schwer?

Zu Beginn herrscht Dunkelheit in den Kammerspielen, auf der Soundspur ist eine Kinderstimme zu hören. Sie gehört Nine Manthei, Tochter des Schauspieler-Paars Carolin Conrad und Aurel Manthei. Sie liefert unbeschwert einen ersten Überblick über das Geschehen ab. Kinderleicht.

Womit die Richtung für diesen Abend vorgegeben ist: Erstmals arbeitet die belgische Regisseurin Lies Pauwels in den Kammerspielen, erstmals setzt sie ein bereits vorhandenes Stück in Szene, was sie jedoch nicht davon abhält, das teils auf Deutsch, teils auf Englisch rezitierte Original ganz locker mit eigenen Texten und Anspielungen auf die Kunst- und Musikgeschichte anzureichern.

Ein Sturm lässt ein Schiff kentern und spült Viola sowie ihren Zwillingsbruder Sebastian getrennt voneinander an die Küste Illyriens. "Vergesst nicht, während eines Sturms ist es leicht, seine Identität zu verlieren", mahnt der Narr das Publikum. Svetlana Belesova spielt den Freigeist mit trockener, aufmüpfiger Heiterkeit, bestimmt am Anfang zudem in einem knallharten Casting, welche von gleich mehreren blonden Drag Queens die Hauptfigur Viola spielen soll (Kostüme und Bühne: Johanna Trudzinski). Christian Löber bekommt die Rolle und wird sie großartig spielen.

Musik quer durch die Zeiten, von Händel bis Pop

Einen Bildersturm entfesseln Pauwels und ihr Team in den folgenden zwei Stunden, machen aus Shakespeares Stück eine lose Show, in der die Identitäten mitsamt den alten binären Vorstellungen durcheinandergefegt und die Freuden und Qualen der Liebe beleuchtet werden. Großformatige Gemälde werden über die Bühne geschoben, darunter Hokusais "Große Welle" oder die betränte Wange einer Blonden im Comic-Stil Roy Lichtensteins. Musik quer durch die Zeiten erklingt, von der Händel-Arie bis zu Pop-Songs neueren Datums, teilweise live gesungen.

Spielerisch wie gesanglich leuchtet immer wieder Wiebke Puls heraus. Ob sie mit dem ebenfalls gesangsstarken Konstantin Schumann "Something stupid" singt oder ein Shakespeare-Lied aus dem Stück ("Oh Mistress Mine, Where Are You Roaming?") mit Christian Löber an der Bass-Gitarre zum Besten gibt - ihr Gesang ist stets klar und einnehmend schön. "Je t'aime… moi non plus", das alte Gainsbourg-Birkin-Duett, erklingt einmal im Hintergrund, das gesamte Ensemble singt Joe Dassins "Et si tu n'existais pas": Wenn es dich nicht gäbe, so sag mir, wozu sollte es mich geben? Die (unerwiderte) Liebe saugt das Dasein auf, bringt alle zur Verzweiflung und über den Rand der Tränen hinaus, selbst den von Erwin Aljukić mit Lust am Wüsten wie Zarten gespielten Sir Toby.

Mit seinem Saufkumpan Sir Andrew verbindet Toby eine freundschaftliche Liebe, die sie wortlos in einem Tanz zum Ausdruck bringen. Martin Weigel spielt Andrew, und sowohl ihm als auch Aljukic gönnt Pauwels einen Moment, in dem sie hinterfragen, wieso sie eigentlich für diese Rollen besetzt wurden. Weigel, der robuste Mann mit Glatze, möchte vom Publikum wissen, in welchen Rollen sie ihn auf den ersten Blick sehen würden: Metzger, Bodyguard…?

Erwin Aljukić in "Was ihr wollt"
Erwin Aljukić in "Was ihr wollt" © Maurice Korbel

Das Aussehen legt bestimmte Identitäten nahe, Type-Casting wird überall betrieben. Johanna Eiworth, die Olivias Kammerfrau Maria spielt, zieht sich bis zum schwarzen Body aus, legt die Fiktion ab ("Heute mal keine Illusionen") und formuliert in einem furiosen Monolog all die Wünsche und Ängste, die mit der Liebe einhergehen. Dass andere vielleicht mehr geliebt werden, dass man selbst leer ausgeht.

Das Ach und Weh der Liebe durch alle Generationen

Lies Pauwels treibt ihr achtköpfiges Ensemble zum freien, auch schambefreiten Spiel an, weil die Liebe nun mal keine (Scham-)Grenzen kennt und letztlich jede und jeden schwach macht. Olivias Haushofmeister Malvolio zieht sich gelbe Strümpfe an und lächelt pausenlos, um seiner Herrin zu gefallen, fällt dabei aber auf eine Intrige von Sir Toby und Sir Andrews herein.

Martin Weigel, Wiebke Puls, Vinzenz Sommer, Konstantin Schumann, Erwin Aljukić, Johanna Eiworth, Christian Löber, Svetlana Belesova in "Was ihr wollt".
Martin Weigel, Wiebke Puls, Vinzenz Sommer, Konstantin Schumann, Erwin Aljukić, Johanna Eiworth, Christian Löber, Svetlana Belesova in "Was ihr wollt". © Maurice Korbel

Vinzenz Sommer, derzeit noch Student an der Otto-Falckenberg-Schule, legt sich beherzt in diese Pleite hinein und injiziert gemeinsam mit Konstantin Schumann, der Falckenberg-Absolvent und bereits Mitglied im Ensemble der Kammerspiele ist, jugendlich frische Energie ins Shakespeare-Treiben.

Das Ach und Weh der Liebe geht durch alle Generationen, doch vielleicht liegt ja genau darin ein Trost: dass alle an ihr leiden. Am Ende lässt Pauwels ihr Ensemble in Zweierkonstellationen Pietá-Positionen ausprobieren. Wer wie Jesus vom Leiden hingestreckt wird, liegt zumindest in den Armen eines mütterlichen Gegenübers. Die Liebe ist ein schmerzhaftes Spiel, aber eben auch ein Spiel, das gefällt, wenn es so überbordend und luftig und heiter ist wie in dieser Inszenierung.


Schauspielhaus der Kammerspiele, nächste Aufführungen am 11. Mai, 19 Uhr; 19. und 27. Mai, 20 Uhr, Karten online und unter Telefon 233 966 00

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