Kritik

Wenn Männer einfach aussterben: "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" im Volkstheater

Christian Stückl inszeniert Sibylle Bergs Version von "Lysistrata" als vergnügliche Utopie im Volkstheater.
von  Mathias Hejny
"In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" im Volkstheater.
"In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" im Volkstheater. © Arno Declair

Markus Söder wird das gar nicht gefallen. Wenige Tage nach dem der Ministerpräsident das Gendern in Bayerns Behörden verbot, wird in einem städtischen Münchner Theater das Publikum mit "Guten Abend, meine verehrten Besucher:innen" begrüßt. Naturgemäß wollen die Darstellenden des Volkstheaters nur spielen und mit dem Ausgangspunkt ihrer neuen Produktion stehen sie fest auf den Säulen der europäischen Kulturgeschichte.

Sibylle Berg nahm sich die Komödie "Lysistrata" des Aristophanes vor, die gleich zwei seit 2500 Jahren liegengebliebene Probleme utopisch löst: Männer und ihre Beziehungen sowohl zu den Frauen als auch zum Krieg. Die Titelheldin zettelt einen Streik der Frauen an, die sich ihren Männern sexuell verweigern, solange der Krieg dauert. Das Testosteron erweist sich als stärker als die Lust am Kampf auf dem Feld der Ehre, über das sich fortan tiefer Friede legt.

Mit "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" schreibt Berg die pazifistische Griechen-Komödie fort in eine nicht mehr allzu ferne Zukunft, in der die Frauen die dominante Hälfte der Menschheit sind. Die alten Zeiten von Gender Pay Gap, Geschlechterdiskriminierung und sexueller Gewalt sind nur noch Geschichte. Das Stück ist ein Stationendrama durch "Gärten", die Abteilungen sind eines Museums zum Betrachten jener Vergangenheit, als Männer noch Männer waren. Darunter gibt es den Liebesgarten, den Missionarsgarten - benannt nach "der ödesten Begattungsposition" -, den Erwachsenengarten oder den Kindergarten. Bühnenbildner Stefan Hageneier räumte die Exponate zusammen wie in einem Museumsdepot auf die Drehbühne. Eine Götterstatue gehört ebenso dazu wie ein Saurier oder ein Gartenzwerg. Zwischen Palmen und Kakteen blicken Plastiken von Adam und Eva ein bisschen traurig aus ihrer Paradies-Simulation.

Vorgesehen sind zwei Chöre nach Vorbild des antiken Theaters, doch Regisseur Christian Stückl verteilte auch die gereimten Texte. Dazu stehen mit Lena Brückner, Luise Deborah Daberkow und Liv Stapelfeldt drei Lysistraten zur Verfügung. Der athenische Krieger Kinesias des Originals multipliziert sich zu drei Bernds, gespielt von Anton Nürnberg, Jawad Rajpoot und Noah Tinwa, der sich mit einer überzeugenden Breakdance-Nummer zur Premiere einen Szenenapplaus verdiente.

"In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" im Volkstheater mit (v.l.) Anton Nürnberg, Luise Deborah Daberkow, Liv Stapelfeldt, Noah Tinwa und Lena Brückner.
"In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" im Volkstheater mit (v.l.) Anton Nürnberg, Luise Deborah Daberkow, Liv Stapelfeldt, Noah Tinwa und Lena Brückner. © Arno Declair

Schließlich sind die Kerle doch irgendwie lieb. Aber sie wehren sich gegen die Unterdrückung, rotten sich zum Streik zusammen und verweigern der Gattin den Sex, wenn sie nach 18 Stunden im Job nach Hause kommt. Am Ende lümmeln sie sich mit fetten Bäuchen unter Feinripp-Unterwäsche biertrinkend herum auf Kinderspielplätzen, wo sie ihre Brut behüten. Dabei dürfen sie endlich völlig entspannt und glücklich sein. Und ganz am Ende sterben sie einfach aus.

Den Frauen fällt das gar nicht auf, denn Robotertechnologie kümmert sich sowohl um die Erotik, die die Künstliche Intelligenz sowieso besser kann als die leicht anfällige Biologie, als auch um die Fortpflanzung mit ausschließlich weiblicher Nachkommenschaft.

Sibylle Berg beschränkt sich zum Glück nicht auf die einfache Umkehrung der Lysistrata-Dramaturgie, sondern bespielt mit eloquentem Witz und ätzendem Spott die vielen Nebenkriegsschauplätze, wenn Paare sich paaren.

"In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" im Volkstheater.
"In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" im Volkstheater. © Arno Declair

Bei dieser Gelegenheit fällt auf, wie rasant unsere Gegenwart voran stürmt. Als das Stück 2019 uraufgeführt wurde, war die #Me-Too-Bewegung kurz nach dem Skandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein auf dem Höhepunkt (wenn dieser Begriff in diesem Zusammenhang gestattet ist).

Vor allem der sehr laut geführte Diskurs in den ersten Szenen scheint heute bereits ein wenig aus der Zeit zu fallen wie ein lediglich gut gemeintes Frauenkabarett.

Doch der Regisseur und sein sehr junges Ensemble durchstöbern unerschrocken wirklich jede Beziehungskiste, die ihnen die Autorin hingestellt hat, und die Inszenierung bekommt mit jeder Wendung mehr Kontur.

Mit dem Hinweis auf die wachsende Bedeutung rechtspopulistischer Bewegungen, die damit drohen, die gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen wieder umzudrehen, ist Christian Stückl, wie es vonseiten des Theaters heißt, sicher: "Genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt für dieses Stück."

Münchner Volksheater,
30., 31. März, 15., 28. April,
4., 8. Mai, 19.30 Uhr,

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