Was Matthias Lilienthal in seiner vorletzten Spielzeit plant

Wer nicht ein gescheiterter, sondern gescheiter Intendant sein will, der muss sich auch im freundlich raffinierten Umgang mit der Presse verstehen, sonst ist man ja, eben, nicht gescheit.
Natürlich weiß Matthias Lilienthal, dass den Pressevertretern bei der Vorstellung zur nächsten Spielzeit vor allem Fragen zu seinem Weggang unter den Nägeln brennen. So haben er und sein Team sich offenbar darauf vorbereitet, mögliche unbequeme Fragen und einen leidenschaftlichen Aufruhr der Argumente im Keim zu ersticken.
Zumindest erscheint es doch schon mal als, absolut mundende, Strategie zur vorauseilenden Beschwichtigung, dass der Intendant persönlich den Ankommenden libanesische Pizza mit Thymian kredenzt – Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen, selbst bei knallharten Journalisten.
Zudem findet die Pressekonferenz dieses Mal nicht etwa im heimeligen Malersaal statt, sondern in der weitflächigen Kammer 2. Recht weit stehen die Tische der Presse da von dem Podium entfernt, auf dem sich Matthias Lilienthal mit einigen seiner RegisseurInnen versammelt hat. Ja keine kuschlige, sich als Gruppe fühlende Pressemeute entstehen lassen.
Eine persönliche Entscheidung
Kaum haben Lilienthal und sein Team das Programm vorgestellt, öffnet er die Möglichkeit, Fragen zu stellen, setzt aber gleich hinzu: „Es würde mich Freude, wenn es keine Fragen zu meinem Weggang gäbe“. Als eine Dame doch noch kurz nachhakt, pocht er darauf, dass dies „eine persönliche Entscheidung“ sei, die ganz persönliche Gründe habe.
Womit er die Trumpfkarte der Privatsphäre zieht. Die möchte man als höflicher Mensch natürlich nicht aufs Peinlichste betreten, wobei Lilienthals „persönliche“ Entscheidung ja nun doch eine sehr politische war, mit Auswirkungen für viele andere. Aber soweit denkt man dann doch nicht. Keine Nachfragen. Das Schweigen der Presselämmer. Danke, keine Fragen? Dann schönen Tag noch.
Soweit die (vermuteten) Überrumpelungstaktiken des Intendanten, der sich zu Beginn der Pressekonferenz kämpferisch gibt: Von nachlassender Power und zwei Jahren möglicher Lame-Duck-Intendanz möchte er natürlich nichts spüren lassen.
Zehn Stunden Antike
Das Programm fürs vierte Jahr seiner Intendanz wird wohl eh seit längerem angedacht worden sein. „Ich mache die nächsten zwei Jahre mit Haut und Haaren Kammerspiele“, meint Lilienthal. Und zur Eröffnung der nächsten Saison: „Wir haben uns gefragt: Was ist ein Projekt, mit dem wir so richtig schön auf die Nase fliegen können.“ Womit die Lust am Experiment und die Bereitschaft zum Scheitern als Ansage fürs kreative Schaffen bestehen bleibt.
Statt kleinmütig zu kleckern soll erst recht geklotzt werden. Christopher Rüping, nach Nicolas Stemanns Abschiedsinszenierung mit Strindbergs „Der Vater“ der verbleibende Hausregisseur, möchte sich erstmals in seiner Laufbahn den antiken Tragödien widmen. In einer zehnstündigen Mammutinszenierung mit dem Titel „Dionysos Stadt“ sollen einige Stoffe mit einem kleinen Ensemble in Szene gesetzt werden.
Ein Theaterfest zum Einstieg also, vages Vorbild ist Luk Percevals 12-stündige „Schlachten“-Inszenierung, in der Perceval die acht Königsdramen Shakespeares in einem Rutsch zur Aufführung brachte. Dabei will Rüping in den Pausen zwischen den Teilen das Publikum atmosphärisch weiter begleiten, mit Angeboten „zum Tanzen, zum Schlafen, zum Knutschen, zum Essen.“
Da die Vorbereitung für eine solche Unternehmung mehr Zeit brauchen, wird die Saison in den Kammerspielen erst im Oktober starten. Vor „Dionysos Stadt“ (ab 6. Oktober) beschäftigt sich Stefan Kaegi vom Theaterkollektiv Rimini Protokoll mit den Auswirkungen künstlicher Intelligenz: Das Projekt „Unheimliches Tal / Uncanny Valley“ bestreitet ein Roboter auf der Bühne, dessen Aussehen dem des Autors Thomas Melle ähnelt (ab 4. Oktober). Der New Yorker Trajal Harrell transformiert nach seiner schön flirrenden Tanzversion von „Romeo und Julia“ den US-TV-Film „Evening in Byzantium“ zu einem tänzerischen Endzeitstück (ab 6. Oktober).
Bekannte Gesichter
Schaut man sich das Programm der nächsten Saison an, fällt auf, dass Lilienthal ausschließlich TheatermacherInnen eingeladen hat, die bereits an seinem Haus inszeniert haben. Das steht für eine Kontinuität in der Zusammenarbeit, auch entgegen mancher Vorwürfen der Beliebigkeit seiner Intendanz.
Appetitanregend klingt vieles – wenn man die künstlerischen Handschriften denn mag: Yael Ronen („Point of no return“) beschäftigt sich in dem Projekt „#Genesis“ damit, inwieweit die biblischen (Geschlechter-)Bilder unser heutiges Denken beeinflussen (Premiere am 28. Oktober). Amir Reza Koohestani („Die Attentäterin“) nimmt sich Shakespeares „Macbeth“ vor (Dezember). Ersan Mondtag („Das Erbe“) spielt mit Motiven aus Lionel Feuchtwangers „Erfolg“, nachdem Stefan Pucher in dieser Saison den dritten Roman von Feuchtwangers „Wartesaal“-Trilogie sehr nah am Text auf die Bühne brachte.
Pucher selbst adaptiert Virginie Despentes Roman „Das Leben des Vernon Subutex“ (Premiere im März 2019), Susanne Kennedy beschäftigt sich mit den Sehnsuchts-Wiederholungsschleifen von Tschechows „Drei Schwestern“ (April 2019). Zudem gibt es neue Arbeiten von Philippe Quesne, Rabih Mroué oder Felix Rothenhäusler, der nach dem gelungen heiteren Boulevardstück „Trüffel Trüffel Trüffel“ in die tiefe Endzeitstimmung von Lars von Triers „Melancholia“ eintauchen wird (Juni 2019).
Die CSU als antikes Fatum
Mit Eva Löbau, Gro Swantje Kohlhof und Vincent Redetzki gibt es drei Neuzugänge im Ensemble, obwohl die in zwei Jahren sich höchstwahrscheinlich wieder einen neuen Arbeitgeber suchen müssen. Aber wer weiß auch schon, was die nächste Zukunft bringt.
Von der Unausweichlichkeit mancher Ereignisse sprach Christopher Rüping, die wir im heutigen Leben wegstecken müssen, weshalb ihn nun auch die antiken Tragödien interessieren. In München wurden die griechischen Götter offenbar durch die CSU ersetzt, welche die Zukunft der Kammerspiele bestimmt haben.
Wieso er sich so widerstandslos in sein Schicksal ergeben hat, und inwieweit der alte Tragöde Lilienthal sich nicht auch ein wenig als Leidtragender inszeniert – das hätte man ja gerne gefragt. Aber mit Schweigen diesbezüglich fährt der Intendant besser und erwähnt, dass die Auslastung nach Bekanntwerden seines Abschieds um zwei Prozent gestiegen sei. Wenn die Götter da nicht vorzeitig verrücktspielten! Die libanesische Pizza jedenfalls, sie schmeckte einfach wunderbar.