Was ein Münchner Kabarettist auf Kuba erlebte

Frank Klötgen von der Lach- und Schießgesellschaft reist zu einem Poetryslam nach Kuba: Was erwartet einen dort? Jedenfalls Poesie und ein komplett bankrotter Staat
von  Frank Klötgen
Frank Klötgen mit seiner kubanischen Kollegin Luz de Cuba bei der Begrüßung zum diesjährigen Poetryslam-Festival in Havanna. Fotos: Favel Valdes / Frank Klötgen
Frank Klötgen mit seiner kubanischen Kollegin Luz de Cuba bei der Begrüßung zum diesjährigen Poetryslam-Festival in Havanna. Fotos: Favel Valdes / Frank Klötgen © Fotos: Favel Valdes

Als im März 2020 das neue Ensemble der Lach- & Schießgesellschaft gecastet wurde, hatte ich gleichzeitig eine Einladung zum ersten Poetry Slam Festival auf Kuba. Corona änderte dann meine Reiseroute. Ende April 2024 nutze ich aber ´zwei spielfreie Wochen der Lach- & Schieß, um zum dritten Mal mitzuhelfen, ein Interkontinentales Poesie-Treffen in Havanna zu organisieren.

"Malanga" steht auf der Liste, die der Festival-Koch uns zugesteckt hat. Wir sollen die Zutaten besorgen, mit denen er zehn Poeten und Poetinnen aus sieben Ländern zwei Tage verköstigen soll. Wir finden eine Zeile von Marktständen in einer durch Einsturz entstandenen Baulücken von Havannas Altstadt. Unter der als Regenschutz aufgespannten Plane ist es stickig und heiß. Außerdem ist man wegen des Lichtwechsels aus der grellen Mittagssonne eine Weile lang quasi blind. Nun, ich habe eh keine Ahnung, wie eine Malanga ausschaut.

Der Tod Fildel Castros war auch der Tod sozialistischer Romantik

Seit der letzte Castro abgedankt hat, ist Kuba zunehmend aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Die Romantik des wahrhaftigen Guerilleros kann ein nachgerückter Parteisoldat nicht bedienen. Dabei produziert Kuba nach wie vor Schlagzeilen: Das Land durchlebt aktuell die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Ende der Sowjetunion. Nahrungsmittelengpässe, Stromabschaltungen und eine Inflationsrate von 30 Prozent prägen den Alltag. Überall hört man den Wunsch, das Land zu verlassen. Als ein Taxifahrer realisiert, dass ich aus Deutschland komme, bietet er mir seine einjährige Tochter an, damit sie eine Zukunft habe.

Die US-Sanktionen geben dem bankrotten Staat den Rest

Vieles an der wirtschaftlichen Misere ist hausgemacht: sozialistische Mangelwirtschaft. Aber einen Riesenanteil haben die US-Sanktionen und das Handels-Embargo, mit dem Kuba auf die Stufe von Nordkorea, Iran, Syrien und den von Russland annektierten Gebieten der Ukraine gestellt wird.

Eine Probe vor dem Poetry Slam: Rakaya Fertuga und Dalibor Markovic.
Eine Probe vor dem Poetry Slam: Rakaya Fertuga und Dalibor Markovic. © Favel Valdes

Seit 62 Jahren steht Kuba auf der Liste der von den USA geächteten Staaten. Rekord! Wie ernst dies nach wie vor genommen wird, erlebe ich, als mir eine Bekannte über Paypal eine Unterstützung für das Poetry Festival überweist und im Betreff "Spende Kuba" angibt. Unmittelbar danach sind unsere Konten gesperrt und das Geld eingefroren. "Naja, aber Kuba - das weiß man doch!", rechtfertigt sich ein Paypal-Mitarbeiter.


Eine andere Meinung vertreten die 187 Staaten der UN, die 2023 eine Aufhebung der US-Blockade gegen Kuba fordern. Diese UN-Resolution wurde bereits zum 31. Mal beschlossen. Ihr stehen diesmal lediglich zwei Gegenstimmen und eine Enthaltung entgegen. Im selben Jahr unterzeichnet Joe Biden die Verlängerung der Restriktionen. Kuba ist mittlerweile ein Land, in dem ein Koch die Zutaten für zehn Gäste nicht selbst vorstrecken kann.

150 Euro - damit finanzieren sie das ganze Festival

Wir überlegen, ob dem Markthändler zu trauen ist, der die von uns ausgewählten Malangas gegen andere austauscht, die angeblich besser seien. Auf diese Weise werden überall auf der Welt dem Unkundigen gerne unverkäufliche Ladenhüter untergejubelt. Warum sollte das in einem der letzten Schurkenstaaten anders sein?

Wie bin ich nun nach Havanna und auf die Achse des Bösen abgerutscht? Es war so, dass ich im Vorfeld der geplanten Kuba-Reise 2020 über meine Homepage ein Crowdfunding liefen ließ, um die Kosten der Anreise kleiner zu halten. Dieses Geld schlummerte aufgrund der Corona-Reisebeschränkungen 2022 noch immer auf meinem Konto. Indes war die Aussicht, dass es für ein Poetry Slam Festival in Havanna staatliche Unterstützung geben würde, auf Null gesunken.

Auch der Tourismus am Boden

Mit den ausbleibenden Touristen hatte sich die wirtschaftliche Lage der Insel radikal verschlechtert. Aber auch die von vielen jungen Menschen vorangetriebenen Demonstrationen im Juli 2021 machten ein Festival der poetischen Subkultur zu einem aussichtslosen Unterfangen. "Wir erhalten keine Räume und uns fehlt das Geld, um die Technik zu mieten!", wurde mir mitgeteilt. 150 Euro würde man pro Show benötigen. 150 Euro? Ja, die hätte ich über das Crowdfunding allemal gesammelt, bot ich an. Im Gegenzug wollte man dafür sorgen, vor Ort eine mobile Cocktailbar aufzubauen, die Auftretende und Publikum mit Freigetränken versorgt. Das darf man auch auf sozialistischem Boden eine Win-Win-Situation nennen.

"Du kommst aber schon ohne Auslieferungsantrag wieder zurück?", wurde ich daheim gefragt, als ich zur ersten von mir mitfinanzierten Veranstaltung gen Kuba aufbrach. Diese fand in einem leergeräumten Tattoo-Studio der Queer-Szene in Havannas Altstadt statt. Freche Karikaturen und Slogans zierten jede Wand - und waren kurz darauf mikrofonverstärkt bis auf die Straße zu hören.

Aber die Selbstverständlichkeit, mit der alle Beteiligten ans Mikro traten, gab mir das Gefühl, dass hier nichts zu befürchten sei.

Furchtloser Champion: Yordanis Febles (29).
Furchtloser Champion: Yordanis Febles (29). © Favel Valdes

An jenem Abend standen bereits alle auf der Bühne, die ein Jahr später das Finale der kubanischen Poetry-Slam-Meisterschaften bestreiten. Darunter Yordanis Febles, 29 Jahre alt, nunmehr amtierender Slam-Champion Kubas.

Zensur? Dafür war die Veranstaltung zu klein

Als Juror dieses Wettbewerbs hatte ich alle Texte erhalten, um sicherzustellen, dass ich die von mir zu benotenden Vorträge auch hinreichend verstehe. Schon beim Lesen war ich gefesselt von dem Text, in dem Yordanis sich weigert, weiterhin die Dunkelheit als bedrohlich zu empfinden. Die Helligkeit habe sich für ihn immer als feindseliger erwiesen. Was auf dem Papier durch die Kraft der Bilder fasziniert, potenziert sich als Live-Erlebnis: Dieser Vortrag ist eine Explosion, der man sich nicht entziehen kann.

Was riskiert einer wie Yordanis in diesem Moment, frage ich mich. Vermutlich doch sehr viel mehr als ein paar nervige Anrufe bei der Paypal-Hotline.

Yordanis stammt aus dem Vorort Cotorro und ist bei seiner vor zwei Jahren verstorbenen Mutter aufgewachsen. Die war traditionelle Heilerin und als "Green Witch" von Cotorro bekannt. Über seinen Vater weiß er nichts - auf Kuba nicht ungewöhnlich. Seit zehn Jahren schreibt er Gedichte, seit zwei Jahren geht Yordanis damit auf die Bühne.

"Gibt es für dich Themen, die du nicht ansprechen würdest, um Ärger zu vermeiden?", ist meine Frage. "Es geht mir nur um Poesie." Ich: "Aber manche Texte, die auf unseren Veranstaltungen vorgetragen werden, sind sicherlich nicht im Interesse der Regierung?" Er: "Solange wir sie auf unseren eigenen Shows vortragen, ist das egal. Bei offiziellen Events würde vorab selektiert, was auf der Bühne vorgetragen wird."

Die poetische Sprache arbeitet versteckt

Tatsächlich wurde ich in den letzten zwei Jahren für keinen meiner Auftritte auf Kuba von irgendwem um die Texte zur Durchsicht gebeten. Ich frage eine Zuschauerin, ob sie es für möglich halte, dass eine Art Staatssicherheit unsere Veranstaltungen beobachte. Dazu wären wir zu klein, beschwichtigt sie.

Am Ende sind wir mit unserem Spartenvergnügen nur ein willkommenes Feigenblatt der Meinungsfreiheit. Und alles mag sich ändern, wenn wir groß sind? "Ich glaube nicht," sagt Yordanis. "Die poetische Sprache ist zu abstrakt, die Botschaften zu versteckt." Metaphern sind keine Protestplakate.

Zum Abschluss des Festivals serviert unser Koch Hummer. Mit Malanga. "Wie jetzt? Ernsthaft Hummer?", fragen die europäischen Gäste. Es ist ein Zeichen der Gastfreundschaft. Für die kubanischen Freunde ist das am Vortag servierte Rindfleisch der seltenere Genuss.

Auch die kartoffelähnliche Beilage bleibt nicht unerwähnt: "Kuba ist weltweit einer der Hauptproduzenten von Malanga", erfahren wir. Aber der Stolz auf das Land schmilzt dahin, wenn es um die poetischen Ziele unserer KollegInnen geht. Die richten sich gen Spanien, Deutschland oder - zynischerweise - die USA. Kuba zählt nicht zu den Schauplätzen ihrer Träume.

Rindfleisch zu teuer? Dann gibt's eben Hummer

Für Yordanis, der Kuba noch nie verlassen hat, steht Cd. Juárez in Chihuahua, Mexiko auf der Wunschliste. Dort finden vom 28. bis30. Juni die Kontinentalmeisterschaften "Copa América de Poetry Slam" statt, für die er als kubanischer Meister qualifiziert ist. Ohne Chance, ausreichend Geld für Flugticket und Visum aufzutreiben.

Ich biete an, in meiner restlichen Zeit auf Kuba Gedichte zu schreiben, die ich in Deutschland zu Geld mache. So wie ein Maler seine Bilder verkauft. Die Inspirationen der Insel vergelten, indem man Kubas Poesie unterstützt. Win-Win-Situation, die Zweite. "Gebt Kubas Poesie Laut!" - mein Crowdfunding für die Reise von Yordanis Febles zum Copa América läuft noch bis zum 25. Juni.

Auf www.hirnpoma.de kann man Kuba-Gedichte, Bücher kaufen oder Solo-Auftritte von Frank Klötgen erstehen. Die Erlöse fließen dann direkt der Teilnahmemöglichkeit von Yordanis Febles am Copa América zu

Eine Probe vor dem Poetry Slam: Rakaya Fertuga und Dalibor Markovic.
Eine Probe vor dem Poetry Slam: Rakaya Fertuga und Dalibor Markovic. © Favel Valdes
Furchtloser Champion: Yordanis Febles (29).
Furchtloser Champion: Yordanis Febles (29). © Favel Valdes
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