Interview

Warum im "Vogelhändler" die Schwuplattler tanzen

Der Regisseur Bernd Mottl über seine Inszenierung von Carl Zellers Operette im Gärtnerplatztheater
Robert Braunmüller
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Die Schwuplattler im "Vogelhändler". Die 1997 gegründete Gruppe zählt 100 Mitglieder. Sie sind der weltweit erste schwule Verein, der sich dem Erhalt von bayerischem Brauchtum und Tradition, insbesondere dem Schuhplatteln, verschrieben hat.
Die Schwuplattler im "Vogelhändler". Die 1997 gegründete Gruppe zählt 100 Mitglieder. Sie sind der weltweit erste schwule Verein, der sich dem Erhalt von bayerischem Brauchtum und Tradition, insbesondere dem Schuhplatteln, verschrieben hat. © Marie-Laure Briane

Dieses Werk enthält unverwüstliche Wunschkonzert-Hits wie "Schenkt man sich Rosen in Tirol", "Ich bin die Christel von der Post" und "Grüß euch Gott, alle miteinander". Ab heute steht Carl Zellers "Der Vogelhändler" nach vielen Jahren wieder auf dem Spielplan des Gärtnerplatztheaters. Anthony Bramall dirigiert, Bernd Mottl hat die Operette neu inszeniert.

AZ: Herr Mottl, vielen Menschen dürften die Hits dieser Operette zumindest dem Titel nach geläufig sein. Zu sehen ist der "Vogelhändler" eher selten, weil er einen Beigeschmack von Opas Operette hat. Was reizt Sie daran?

BERND MOTTL: Ich weiß: Der "Vogelhändler" ist ein wenig als Heimatoperette verrufen. Wenn man einem Stück misstraut, sollte man es nicht machen oder auf den Kopf stellen. Ich möchte die Figuren nicht zu Karikaturen machen. Denn es hat einen Grund, wieso solche Operetten so erfolgreich waren. Ich suche daher nach einem menschlichen Zug, der mich interessieren kann.

Welche Geschichte erzählt diese Operette?

Das Geschlechterbild im "Vogelhändler" ist auf den ersten Blick ziemlich altmodisch: Frauen sind sittsam und rein. Sie haben als Jungfrauen in die Ehe zu gehen und werden zuvor allenfalls dem Kurfürsten zugeführt. Wenn man das Stück aber genauer liest, erzählt es von einer Emanzipation: Die beiden weiblichen Hauptrollen - die Kurfürstin und die Christl von der Post - pflegen eher moderne Beziehungen.

Wie sehen die aus?

Christl ist Postbeamtin und hat ein Verhältnis mit dem Tiroler Bergkraxler Adam. Sie findet diesen Naturburschen attraktiv, aber das Geld reicht nicht. Also besorgt sie ihm einen Job beim Kurfürsten - nicht ahnend, dass der nicht der echte Herrscher ist. Das stört Adams männlichen Stolz. Außerdem scheut er die Sesshaftigkeit.

Und bei der Kurfürstin?

Das ist eine eher zerrüttete Ehe. Man nimmt vom nie auftretenden Kurfürsten an, er würde die Jagd als Vorwand nehmen, anderen Frauen nachzustellen. Die Kurfürstin versucht, das herauszufinden. Daraus entwickeln sich Verwechslungen.

"Der Vogelhändler" im Gärtnerplatztheater.
"Der Vogelhändler" im Gärtnerplatztheater. © Marie-Laure Briane

Weil jemand als falscher Kurfürst unterwegs ist.

Graf Stanislaus versucht das auszunutzen, zumal es der Brauch will, dass jedes Dorf beim Besuch des Kurfürsten eine Ehrenjungfrau zur Verfügung stellen muss, für die außerdem eine Kaution zu zahlen ist. Der Graf - ein Spieler - versucht, an dieses Geld zu kommen, indem er für den nach Paris gereisten Kurfürsten einspringt.

Das Gärtnerplatztheater wirbt mit dem Spruch "Tiroler Piep Show", auf der Homepage ist von einer "echt bayrischen Neuinterpretation" zu lesen. Aber eigentlich spielt der "Vogelhändler" in der Kurpfalz. Könnten Sie diese Widersprüche ordnen?

Carl Zellers hat sehr einfache Melodien und Lieder komponiert, archaische Rhythmen geben der Musik etwas Holzschnitthaftes. Der "Vogelhändler" ist eine Heimatoperette, die dem Publikum schon etwas auf den Schoß rutscht. Bei der Vorbereitung haben wir eine Fassung dieser Operette aus den Dreißiger Jahren entdeckt, die in Bayern spielt, in Bayrischzell beginnt und bei der die Kurfürstin in München residiert. Da fand ich, dass das viel besser zum Gärtnerplatztheater passt.

Aus den Dreißiger Jahren? Schrillen da bei Ihnen keine Alarmglocken?

Wir haben nicht den Text blind übernommen, nur die Idee. Mir ging es darum, das Lokalkolorit auszubauen, weil das beim "Vogelhändler" dazugehört. Daher gibt es auch Schuhplattler. Wir haben dafür die Schwuplattler engagiert. Sie begleiten Adam über die Berge nach Bayrischzell und bilden sozusagen das Tiroler Element.

Wie kamen Sie auf die Schwuplattler?

Ich wollte, dass Tanz vorkommt. Zellers Musik passt zum Schuhplatteln. Was die Schwuplattler machen, ist eine interessante Form von Folklore, die ich sonst so nicht kenne. Und weil die Operette sonst so heteronormativ ist, scheint mir diese Truppe eine gute alternative Farbe zu sein. Für uns sind die Schwuplattler wie ein Geschenk. Außerdem mögen sie Operetten.

"Der Vogelhändler" im Gärtnerplatztheater.
"Der Vogelhändler" im Gärtnerplatztheater. © Marie-Laure Briane

In den Theaterkantinen schwärmt man von einer Szene, in der Adam ein Examen ablegen muss. Was hat es damit auf sich?

Sie meinen die Prodekane. In ihrem Duett geht es um ihre Korrumpierbarkeit - zugleich ist das eine eingängige Mitklatschnummer. Der Dialog dieser Szene hat allerdings - vor allem in den Verfilmungen der frühen Nachkriegszeit - einen unglaublichen Bart. Das sind uralte Gags, die kann man heute nicht mehr machen.

Die Kostüme von Alfred Mayerhofer schauen auf den Fotos sehr nach Plastikfolie aus. Was ist die Idee dahinter?

Die Figuren sind schon etwas schabloniert. Es wäre falsch, sie zu verheutigen. Mich interessiert eher eine Ästhetik der grellen Künstlichkeit. Denn irgendwie spielt der "Vogelhändler" auch in einem Spielzeugland. Und wer heute auf ein Volksfest geht, kostümiert sich mit einer Tracht, die mit historischen Volkstrachten wenig zu tun haben.

Was ist Ihr Heimatgefühl?

Ich stamme aus Mönchengladbach, lebe aber in Berlin. Im Rheinland ist der Karneval wichtig. Dazu kommt eine gesellige Biertradition, die es in Berlin in dieser Form nicht gibt. Rheinländer lieben ihre Kost, die flache Gegend und die Natur, in Berlin ist das alles widersprüchlicher und widerspenstiger.

Was inszenieren Sie als Nächstes?

Eine Bühnenfassung von Michel Houellebecqs "Vernichten" in Wiesbaden. Auf diese Weise bleibt mir der Gegensatz von Stadt und Land noch eine Weile erhalten.

Premiere am 26. Februar um 19.30 Uhr im Gärtnerplatztheater. Restkarten

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