Interview

Warum Genija Rykova wieder in München Theater spielt

Die Schauspielerin kehrt mit dem Stück "Kurzschluss" nach München zurück, in dem auch die Zuschauer gefordert werden.
Michael Stadler |
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Genija Rykova wurde 1986 in Irkutsk geboren. Sie kam als Kind aus Sibirien nach München. Sie studierte an der Bayerischen Theaterakademie und wurde noch während des Studiums an die Kammerspiele engagiert. Martin Kušej holte sie 2012 ans Residenztheater. Die Schauspielerin ist auch regelmäßig als Jazz-Sängerin unterwegs und spielte u.a. in der Serie "Servus Baby".
Genija Rykova wurde 1986 in Irkutsk geboren. Sie kam als Kind aus Sibirien nach München. Sie studierte an der Bayerischen Theaterakademie und wurde noch während des Studiums an die Kammerspiele engagiert. Martin Kušej holte sie 2012 ans Residenztheater. Die Schauspielerin ist auch regelmäßig als Jazz-Sängerin unterwegs und spielte u.a. in der Serie "Servus Baby". © picture alliance/dpa

Schon einmal hat sie im Metropoltheater gespielt. 2010 war das, da stand Genija Rykova mitten in ihrer Schauspielausbildung an der Bayerischen Theaterakademie August Everding. Das Stück war "Woyzeck", Regie führte Jochen Schölch, sie war die Conférencieuse des Abends. Danach spielte Rykova jahrelang im Ensemble des Residenztheaters, landete nach kurzer Zeit als freie Schauspielerin 2019 im Ensemble der Berliner Schaubühne. Jetzt ist sie zurück in München und spielt gemeinsam mit Bijan Zamani das Stück "Kurzschluss" im Café des Metropoltheaters.

AZ: Frau Rykova, wie kam es zur erneuten Zusammenarbeit mit dem Metropoltheater?
GENIJA RYKOVA: Das ist super spontan entstanden. Nach fünf Jahren in Berlin habe ich mich dazu entschlossen, wieder frei zu arbeiten. Philipp Moschitz, der Regie bei "Kurzschluss" führt, rief mich an und fragte mich, ob ich Zeit und Lust hätte, in diesem Stück mitzuspielen. Ich kenne Philipp sehr gut – er hat vor mir an der August Everding Schauspiel studiert, wir sind seit vielen Jahren befreundet. Er hat mir das Stück zugeschickt, ich habe es gelesen und sagte sofort zu.

"Man redet nicht gerne darüber, dass das eigene Kind nicht perfekt ist"

"Kurzschluss" wurde von der israelischen Schauspielerin und Autorin Noa Lazar-Keinan geschrieben und war in Israel ein Hit. Das Stück handelt von einem Paar, das einen autistischen Sohn hat und in eine Krise gerät. Ihre Figur, Neta, wirkt dabei oft sehr gestresst.
Das war am Anfang auch so ein bisschen meine Sorge: Es lastet da eine Verantwortung auf Neta und ihren Mann David, die dazu führt, dass sie oft überfordert sind und sich streiten. Autismus ist ja auch ein Tabuthema: Man redet nicht gerne darüber, dass das eigene Kind nicht perfekt ist.

"Kurzschluss" im Café des Metropoltheaters.
"Kurzschluss" im Café des Metropoltheaters. © Metropoltheater/Joel Heyd

Insofern ist es verständlich, dass Neta oft genervt ist.
Ja… ich habe keine Angst, in Bezug auf Frauenfiguren Klischees zu bedienen, aber nur, wenn ich sie spielerisch für sinnvoll halte und nicht, wenn sie mir aufgedrängt werden, weil die Fantasie, zum Beispiel auf Regieseite, zu differenziertem Frau-Sein fehlt. In diesem Fall habe ich jetzt keine Lust, das Klischee der keifenden Frau zu bedienen, weil ich da auch eine ganz andere Not dahinter sehe und für das Publikum spürbar machen möchte. Ich kann gut verstehen, dass Neta sich öfters beschwert, und sehe meine Aufgabe darin, für das Publikum nachvollziehbar zu machen, wieso das so ist. Gleichzeitig möchte ich nicht den ersten Eindruck einfach stehen lassen, sondern auch das Überraschende an Neta finden und zeigen. Philipp Moschitz und ich ziehen da schönerweise an einem Strang.

Das Publikum spielt alle Nebenrollen

Neta ist Ernährungsberaterin, hat aber ihren Job aufgegeben, um sich ganz ihrem fünfjährigen Sohn Leonhard – und ihrer Tochter – zu widmen. David schreibt Kinderbücher, fährt weiterhin zu Lesungen und scheint eher den Autismus von Leonhard zu verdrängen.
Dass wir bestimmte Wahrheiten nicht wahrhaben wollen, kennen wir doch alle. Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind nicht in die Rillen im Bürgersteig treten wollte – das hätte man als autistischen Zug lesen können. Und auch als Erwachsener ertappt man sich ja hin und wieder dabei, dass man sich "autistisch" verhält. Wenn Leonhard um sich schlägt, sagt David: Er ist halt ein Raufbold! Neta ahnt jedoch, dass etwas nicht stimmt. Leonhard hat keine Freunde, er haut um sich, wenn etwas Unvorhergesehenes eintritt, er redet oft komisch. Sie ist dann diejenige, die sich in das Problem hineinzoomt, die recherchiert und jede Therapieform ausprobieren möchte.

Im direkten Austausch mit dem Publikum: Genija Rykova mit einer Zuschauerin bei den Endproben zu "Kurzschluss".
Im direkten Austausch mit dem Publikum: Genija Rykova mit einer Zuschauerin bei den Endproben zu "Kurzschluss". © Metropoltheater/Joel Heyd

Die Diagnose Autismus wollen dabei beide zunächst nicht wahrhaben.
Wir hatten einen Sozialpädagogen zu Besuch, der mit autistischen Kindern zusammenarbeitet. Er erzählte uns, dass es die verschiedensten Formen von Autismus gibt. Ein Spruch lautet: Kennst du einen Autisten, dann kennst du einen. Die Diagnose Autismus wollen viele Eltern erstmal nicht wahrhaben, aber viele sind erleichtert: Was mit ihrem Kind los ist, hat plötzlich einen Namen. Sie können sich sagen: Wir sind keine schlechten Eltern, wir haben nicht etwas falsch gemacht, sondern unser Kind hat eine Entwicklungsstörung, die zu bestimmten Verhaltensweisen führt.

Das Außergewöhnliche an dem Stück ist auch, dass sämtliche Nebenrollen, inklusive dem Sohn, vom Publikum übernommen werden sollen. Philipp Moschitz, der jetzt Regie führt, hat im Metropoltheater-Café mit "All das Schöne" ein ähnliches Mitmachstück bereits gespielt.
Ja, wobei das Publikum in "All das Schöne" im Kontakt mit Philipp tatsächlich frei improvisieren konnte und er darauf reagieren musste. Bei uns wird das, was das Publikum sagt, stark geführt, da wird praktisch alles vorgegeben. Wobei wir trotzdem nicht genau wissen, was passieren wird. Ich frage mich schon, wie das im Zusammenspiel mit dem Publikum gerade mit Blick auf Rhythmus und Timing funktionieren wird.

Wenn 20 Leute herumstehen und beim Scheitern zusehen

Wie konnten Sie das proben?
In den ersten Proben haben wir Philipp oder die Regie-Assistentin oder Martin vom Ton angespielt. Jetzt, in den Endproben, haben wir auch vor Testpublikum gespielt. Insgesamt waren die Proben sehr familiär, was ich sehr schön fand. Proben empfinde ich zu Beginn oft als unangenehm: Da sitzen zwanzig Leute um dich herum und schauen dir erstmal beim Scheitern zu. Der Text liegt wie ein Holzscheit in deinem Mund und du denkst, es versteht dich keiner, du selbst verstehst es auch nicht. Durch das gemeinsame Drehen an den richtigen Stellschrauben wird aber das, was sich so kantig angefühlt hat, zu einer runden Geschichte und im besten Falle fängt das an zu fliegen.

Genija Rykova
Genija Rykova © Metropoltheater/Joel Heyd

Ob Autist oder nicht – man sehnt sich nach vertrauten Strukturen. Ist es nicht auch stressig und angstauslösend, ein Ensemble zu verlassen und als freie Schauspielerin zu arbeiten?
Absolut! Ich habe aber mit den Jahren ein Bauchgefühl entwickelt, dem ich sehr vertraue. Als ich im Ensemble des Residenztheaters war, hatte ich irgendwann das Gefühl, dass es Zeit wird, mich aus diesem samtigen München herauszubewegen. Als ich vor einiger Zeit das Angebot bekam, in der Netflix-Serie "Bone Palace" eine Rolle zu spielen - eine Frauenrolle, die wirklich interessant und vielschichtig ist -, und das mit meinem Engagement in Berlin unvereinbar war, habe ich mich wiederum schweren Herzens dazu entschlossen, die Serie zu machen und Berlin zu verlassen…

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…um ins samtige München zurückzuziehen.
Ja, die Stadt nehme ich heute nochmal anders wahr. Anfang der Neunziger bin ich mit meinen Eltern aus Sibirien nach München gezogen. Mein Vater hat hier als Bühnenmaler an den Kammerspielen gearbeitet, ich war oft dort und habe im Jugendclub mitgespielt. Dabei wurde mir klar, dass ich unbedingt etwas im Theater machen möchte. Ich war dann auf der August Everding und habe während meiner Ausbildung an den Kammerspielen "Satansbraten" gespielt. Martin Kušej hat die Inszenierung gesehen und holte mich ans Residenztheater. Einen Großteil meines Lebens habe ich in München verbracht, meine sozialen Strukturen habe ich hier. Und heute genieße ich es noch mal mehr, wie schnell ich an die Isar, ins komplette Grün fahren kann.

Haben Sie denn schon weitere Projekte hier?

Ich spiele jetzt erstmal die Premiere und die Vorstellungen. Und bin total offen für alles, was kommt.


Premiere am 26. März, 20.30 Uhr, ausverkauft. Weitere Aufführungen: www.metropoltheater.com

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