"Valentiniade" im Residenztheater: Wenn Semmeln verzweifeln
Mit Karl Valentins Humor verbindet man eigentlich eine gewisse Wärme. Aber ein kühler Wind weht durch diese Inszenierung, ist immer wieder als Hintergrundgeräusch auf der Tonspur zu hören, während das Ensemble ein paar alte Sketche reanimiert. Wenn der Wind abbricht, herrscht plötzlich Stille. "Da, hören Sie das?", sagt Lukas Rüppel, der erste Karl Valentin des Abends. "Jetzt ist es wieder so still. So still, dass es schmerzt in den Ohren. Dass es einem ganz schlecht wird, weil's so still ist."
Kühler Wind weht durch Inszenierung
Karl Valentin hatte vor vielen Dingen Angst. Was für sein Publikum ein Glück war, schöpfte er doch aus seinen Phobien Material für seine eigensinnige Komik. Die Stille hat er vielleicht gefürchtet, weil der Tod in ihr lauert. Kein Wind, kein Atem mehr. "Ich weigere mich zu sterben", sagt Lukas Rüppel zu Beginn. "Weil ich zahle die Miete immer am Ersten."
Wäre es da nicht eine Verschwendung, wenn man vor dem Ende des Monats sterben würde? Und sind wir nicht gerade alle etwas klamm? "Ich kann mir grad nur die Finsternis leisten", ist noch so ein Satz, der direkt in unser Energiekrisen-Heute spricht.
Claudia Bauer gilt als Komödienexpertin
"Valentiniade. Sportliches Singspiel mit allen Mitteln", nennt sich Claudia Bauers Inszenierung im Residenztheater. Sie gilt als Komödienexpertin. Am Residenztheater kann man weiterhin ihre Molière-Inszenierungen "Der eingebildete Kranke" und "Tartuffe" sehen, wobei Peter Licht die Texte zeitgemäß überschrieben hat und Bauer ihr Ensemble zur rasanten Farce antreibt.
Im Gegensatz zu Jandl und Molière ist die Komik Valentins stark an den Charakter, den mageren Körper des Schöpfers gebunden. Das weiß auch Claudia Bauer und schlägt wohl deshalb von Anfang an eher einen morbiden Ton an.
Musik-Trio spielt während Einlass burlesk auf, aber...
Zwar spielt das formidable Musik-Trio unter Anleitung von Komponist Michael Gumpinger bereits während des Einlasses burlesk auf, aber hinten ist ein Video zu sehen, das eine langsame Kamerafahrt durch die Gänge eines Ladens zeigt. Per Texteinblendung wird er als jener Penny-Markt in der Preysingstraße markiert, der dort ist, wo einst das Kabarett "Bunter Würfel" war.
Valentin wurde in dem kleinen Theater versehentlich eingeschlossen und musste eine kalte Nacht dort verbringen. Einige Tage später starb er an einer Lungenentzündung. Und auch wenn er durch seine Werke weiterlebt, ist sein Tod nicht wegzudenken. Oben auf einem dreistöckigen Treppen-Gerüst steht Pia Händler, mit Skelettmaske auf dem Gesicht. Sie will Lukas Rüppel alias Karl Valentin mit sich nehmen, aber er schafft es, sich Brandner-Kaspar-artig herauszureden, flüchtet aus einer per Video nach außen übertragenen Garderobensituation, vor dem Tod, hinein ins hell erleuchtete Bühnenleben.
XXL-Zylinder bestimmt die Drehbühne
Ein riesiger, rundum mit herunterfahrbaren weißen Vorhängen versehener Zylinder bestimmt die von Andreas Auerbach eingerichtete Drehbühne. Der festliche Vorhangkreis umrandet eine offene Spielfläche, in der nach der Ouvertüre das achtköpfige Ensemble - vier Frauen, vier Männer, schwarz befrackt, mit aufgeklebten Nasen und schwarzen Melonen oder Zylindern - acht Karl Valentins mimt.
Zu ihren ersten Einlagen gehört "Die Orchesterprobe". Der Kurzfilm von 1933 lebte vom verschmitzten Witz Valentins. Seine acht Wiedergänger spielen den Sketch in überdrehtem Tonfall, so dass man das Original etwas vermisst. Aber perfekte Nachahmung ist nun mal eine "Mission impossible". Bauers Singspiel ist vielmehr ein bittersüßes Requiem auf einen Künstler, in dessen Komik sich ein existenzieller Schmerz hineinmischte, den das spielfreudige Ensemble gekonnt durchscheinen lässt.
Irritierendes Bild zwischen Komik und Bedrohung
Einen Teil der "Orchesterprobe" wiederholen Florian von Manteuffel als Valentin und Katja Jung als Kapellmeisterin später noch einmal, nur dass auf die Vorhänge ein bewegliches Panorama des kriegszerstörten Münchens projiziert wird und Max Rothbart sich stillschweigend als Mann mit Gasmaske zwischen die beiden stellt. Was ein irritierendes Bild zwischen Komik und Bedrohung ergibt. Die bekannten Einakter und Szenen setzt Claudia Bauer geschickt in neue Kontexte, bringt sie in Zusammenhang mit Valentins Leben, seinen Leiden.
Michel Decar hat diesen Texten einige selbst verfasste Passagen hinzugefügt, die heutige (Reise-)Ängste ins Spiel bringen. Katja Jung erzählt von einer S-Bahnfahrt an den Starnberger See, die sie wegen seltsamer Geräusche panisch unterbrechen muss. Myriam Schröder und Pia Händler übernehmen und machen einen Abstecher zum Dallmayr, um drei Kilo Wolga-Kaviar zu bestellen. "Habens doch amal a bissl Spaß! Ihr Leben wird ja schon bald vorbei sein. Sie können gar nicht schauen, so schnell ist es wieder vorbei", gemahnt die Truppe im Chor.
Liesl Karlstadt taucht an diesem Abend nur am Rande auf. Max Rothbart verzweifelt als Karl, weil die honorarsäumigen Geldgeber telefonisch nicht erreichbar sind. Isabell Antonia Höckel muss ihn als Liesl mal wieder beruhigen und nicht nur den Brand des Telefons löschen. Hunger plagte Valentin, und auch vor Bazillen hatte er Angst, was doch heute gut nachvollziehbar ist. Zudem erschien ihm der Mond als Gefahr, weckte gleichsam eine Sehnsucht, die ihn zur Konstruktion eines Mondfahrzeugs inspirierte.
Grimmig dreinschauender Mond erinnert an Méliès-Film von 1902
Einen schönen Nachbau des Gefährts begleitet das Ensemble auf der Drehbühne, im Video taucht hin und wieder der Mond mit grimmig dreinschauendem Gesicht auf, was an den Mann im Mond aus dem Méliès-Film von 1902 erinnert.
Der Blick Valentins ging jedoch nicht nur hoch hinaus, sondern richtete sich vor allem nach unten, auf die kleinen, alltäglichen Dinge des Lebens. "Das Klagelied einer Wirtshaussemmel" spielt das Ensemble in Schaumstoff-Semmel-Kostümen knallkomisch durch, mit Nicola Mastroberardino als rhythmussicheren Geräuschemacher an der Seite - eine Variété-Nummer alter Schule. Doch auch da geht es letztlich "ums eklige Dasein", nur eben aus der Semmelperspektive.
Melancholie vertreibt manchen Witz
Bekannte Sprüche Valentins hat Michael Gumpinger in Songs verwandelt, die von Band und Ensemble mit stupender Präzision in Klang und Bewegung performt werden. Von "Kunst kommt von Können, und nicht von Wollen, sonst hieße es ja Wunst" bis "Fremd ist der Fremde nur in der Fremde" gelingen hervorragend getaktete Musicalnummern. Valentin wird verachtfacht, manche Szene verdoppelt.
Am Ende kommt auch der Tod wieder und lässt nicht mehr mit sich spaßen. Was zu einer Inszenierung passt, in der die Melancholie manchen Witz vertreibt und eine Essenz spürbar wird, ein kalter Wind von Vergänglichkeit und Untergang, der einst Valentin umwehte und uns auch heute frösteln lässt.
wieder am 27. Dezember, 19.30 Uhr, 1. und 8. Januar, 18.30 Uhr, 21. Januar, 20 Uhr; Karten: 2089185 1940; residenztheater.de
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