"The Nutcracker Reloaded" im Deutschen Theater. Diagnose: Nussknacker-Syndrom

Das Deutsche Theater zeigt mit  "The Nutcracker Reloaded" die Neuinterpretation eines Ballett-Klassikers durch den schwedischen Choreografen Fredrik Rydman.
Dena Brunner |
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Ein alter Stoff, neu erzählt: "The Nutcracker Reloaded".
Foto: Daniel Ohlsson Ein alter Stoff, neu erzählt: "The Nutcracker Reloaded".

München - Wie erfrischend, wenn Stücke alter Dichter und Komponisten nicht ausschließlich werkgetreu über Jahrhunderte wiederholt werden, sondern immer wieder zu Neuauflagen motivieren. Zwölf Tänzer aus den Bereichen zeitgenössischer Tanz, Ballett und Breakdance machen aus E.T.A. Hoffmanns altem Märchen „Nussknacker und Mausekönig“ ein Spektakel aus Fantasie und Popkultur.

Im Originalstück, später vor allem bekannt als Tschaikowskys Ballett „Der Nussknacker“, schenkt der unheimliche Patenonkel Drosselmeier am Heiligabend der kleinen Marie einen Nussknacker. In der darauffolgenden Nacht kämpft das lebendig gewordene Geschenk samt Armee gegen einen brutalen Mäusekönig.

Die Musik bleibt großartig, die Story wird modern

Der schwedische Star-Choreograf Fredrik Rydman, der mit „Swan Lake Reloaded“ schon „Schwanensee“ neu inszeniert hat, wagt sich erneut an ein Tschaikowsky-Stück. Er findet: „Die Musik vom Nussknacker ist großartig, aber die Geschichte gibt kaum etwas her. Was machen wir also? Anders erzählen.“ Rydmans Tanztheater-Neuauflage macht zwar aus einer altmodischen Erzählung eine moderne Geschichte, untermalt mit coolem Streetdance-Choreografien, verzichtet aber trotzdem nicht auf die tragischen Elemente E.T.A. Hoffmanns.

Die Hauptfigur ist Clara, ein obdachloses Waisenkind. Drosselmeier, ein illegaler Organhändler, will ihr Herz. Was die Tanz-Inszenierung so besonders macht, ist die aufwendige Untermalung verschiedener Szenen mit Themen aus dem aktuellen Zeitgeschehen. Ein Selfie hier, eine absurde Pose da: Willkommen in einer herrlich treffenden Kritik an der Social-Media-Generation!

Macbeth in der Black Box im Gasteig

Und in Schwanensee hat auch Darth Vader seinen Platz: Während moderne Kult-Idole wie Vader und Super Mario zu dröhnenden Hip-Hop-Beats tanzen, regnet es Plastiktüten. Alle wollen ein Teil der westlichen Welt sein und machen sich dabei lächerlich: In schrillen Tanz-Episoden lässt Rydman seine als Briten verkleidete Tänzer den Brexit zerpflücken oder er arrangiert die erfolgsorientierten Figuren vor Peking-Kulisse als Blutsauger, die die westliche Gesellschaft leeren.

Jedes Alter findet einen Zugang zur Inszenierung

Der Clou an „The Nutcracker Reloaded“ ist, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene Zugang zur Inszenierung finden. Man muss kein Tanz-Experte oder Tschaikowsky-Kenner sein, um den Zauber zu spüren, sagt Rydman. „Ich möchte die Menschen in die Geschichte einbeziehen, ich möchte, dass sie uns folgen können. Auch wenn bestimmte Details nicht wahrgenommen oder anders interpretiert werden, dann finde ich das trotzdem spannend.“

Auch die Songtexte, die der Choreograf selbst geschrieben hat, sind außergewöhnlich. Mit jeder Zeile lässt sich Rydman auf den Kampf mit der Klischee-Gesellschaft ein und zertrampelt ihr fragwürdiges Wertegerüst. So bittet der gutaussehende Prinz seine Liebste inmitten eines kitschigen Boyband-Szenarios nicht um ihre Hand, sondern darum, ja seine Nüsse nicht zu zerbrechen. Selbstverständlich meint er damit den Respekt vor seiner Männlichkeit.

Die Musik ist eine dynamische Mischung aus poppigem Groove und natürlich auch klassischen Elementen. Nur einmal kurz sind alle Tänzer in charakteristischen Ballettkostümen zu sehen. Das ist Dekonstruktion à la Rydman: anstelle seine Tänzer feines Ballett vorführen zu lassen, lässt er sie durchdrehen.

Einen Teil des klassischen Balletts zu zeigen, ohne es zu inszenieren, das ist reloaded, das macht die Inszenierung unvergleichlich.

 

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