"Spring doch" an der Staatsoper: Mobbing statt Weihnachtsmärchen

Mit dem Begriff "Trauma" ist man in letzter Zeit schnell bei der Hand. "Triggerwarnung" nennt man das Gegenrezept, indem man vorab einen Kulturbesucher warnt, dass ihn etwas psychisch stressen könnte.
Wenn die Bayerische Staatsoper ihre Kinderoper "Spring doch" ab acht Jahren empfiehlt, hat sie recht. Denn das Stück setzt Schulerfahrung voraus. Die Hauptfigur Lena (mit klarem, wendigen Sopran: Anna-Lena Elbert) erlebt Mobbing durch ihre Klassenkameradinnen und Mitschüler – in der bekannt erniedrigenden Situation des Mannschaftswählens beim Sportunterricht.
"Spring doch": Keine Tragödie
Das wiederum findet die herbe Sportlehrerin (in allen ihrer hier vier Rollen souverän und spielstark: Ann-Katrin Naidu) besonders pädagogisch, weil man da die Kinderpsychologie am besten beobachten könne. Lena wird also als Letzte gewählt, noch nach dem hinkenden Tom (wendiger Latin-Lover-Tenor: Bryan Lopez Gonzalez), der das als Triumph genießt, weil er sonst immer letzter ist.
Die Geschichte des Librettisten Andri Beyeler geht die Schulkindwirklichkeit schonungslos an, so dass man fast schon glaubt, dass "Spring doch" würde auf eine Tragödie hinauslaufen. Aber geht dann doch "nur" um den Drei-Meter-Turm im Schwimmbad. Lena kann noch nicht schwimmen, so dass der liebevoll sorgende Vater (wunderbar einfühlsam und textverständlich: Martin Snell), als er von der Mutprobe seiner Lena hört, ins Schwimmbad hinterher rennt, um Schlimmstes zu verhindern.
Dazwischen gibt es noch einen Gang in die spinnenverseuchte Waschküche – wo es auch noch spukt, so dass der Kinderchor der Schule für Chorkunst gruselige Glissandi singen muss – und anschließende spannende Busfahrt – mit Fahrscheinkontrolle, obwohl sich alle auf der Bühne einig sind, dass der ÖPNV kostenlos sein sollte.
"Spring doch" mutet Kindern viel zu
Bei der Premiere konnte man denn auch die begleitenden Erziehungsberechtigten in Sorge sehen: Mobbing? Alleine Busfahren? Lena singt, als in der Umkleidekabine der Riegel beim Hinauswollen klemmt, vielfach das "Sch"-Wort, woraufhin prompt ein Bildungsbürgersprössling in Reihe zwei hörbar sagt: "Sagt man nicht." Auf der Bühne wurde geraucht, weil Halbstarke (wieder Gonzalez) das zum Posen machen.
So mutete "Spring doch" Kindern viel zu, was aber eher die Erwachsenen nervös zu machen schien, weil keine nette oder gar märchenhafte Kinderwelt gezeigt wurde. Auch musikalisch musste man sich an die Musik von Gordon Kampe erst gewöhnen, wenn er gleich mit janáčekschem Sprechgesang mit nervösen hohen Amplituden beginnt, die Ann-Katrin Naidu unangestrengt meistert.
Erst im Laufe der 70 Minuten der Kinderoper schleichen sich Melodien ein – gipfelnd in ironischen Opernzitaten, wie aus "Carmen", mit der sich die Bademeisterin (wieder Naidu) identifiziert. Zwischendurch lässt es das Kammerorchester – vor allem durch mit Posaune und Schlagzeug – swingen bis hin zu rhythmisierten, stakkatohaften Kurt-Weill-Anmutungen.
Das alles ist kein Best-of-Klassik-Oper-Medley für Kinder, sondern eine mutige Produktion, absolut fesselnd und fordernd. Besonders zu loben ist auch die Inszenierung. David Bösch hat mit seinem Bühnenbildner und Videokünstler Patrick Bannwart (zusammen mit Falko Herold) eine optisch fantastische Inszenierung hingelegt: von Narrenhänden beschmierte Tische und Wänden, die aber bereits dezent und klug die Geschichte kommentieren über Videoeinspielungen, die lässig die Bühnenhalle in eine Turnhalle, Bushaltestelle, Freibad verwandeln, bis hin zum einzigen Bühnenbau: dem zentralen, traumatischen, Drei-Meter-Sprungturm.
Rennertsaal der Bayerischen Staatsoper (Eingang Marstallplatz), wieder Mo, 12. Dezember, 11 Uhr; Di, 13.Dezember,11 und 17 Uhr sowie Do, 15. Dezember, 11 und Fr, 16. Dezember, 15 Uhr, www.staatsoper.de