Spontanes Körpertheater
Wie soll das nur gehen, dass man sich als Schauspieler nicht der Routine des Theateralltags ergibt, sondern aus jeder Aufführung etwas Besonderes macht? Um diese und andere Fragen dreht sich die Gruppe NO99 aus Tallinn in ihrer Theaterperformance „Wie man dem toten Hasen die Kunst erklärt“, die gerade beim Relations-Festival zu sehen war.
Um der Ödnis des Einstudierten zu entgehen, ja, da kann vielleicht Improvisation helfen. Und so improvisierten sie, die Esten, hatten einige witzige Einfälle oder landeten im Leerlauf. Egal. In ihrer Mitte haben sie sowieso einen, der jederzeit unberechenbar ist, eigenwillig, eigenartig, nicht ganz von dieser Welt: Risto Kübar.
Ja, meint der 30-jährige Kübar, kann schon sein, dass ihn das antreibt, diese Suche nach dem Einzigartigen. Aber über sich selbst möchte er gar nicht so viel reden, dazu möchten ihm auch nicht die richtigen (englischen) Worte einfallen.
Was vielleicht gut so ist. Vielleicht möchte man gar nicht wissen, wie Kübar funktioniert, woher das kommt, dass er auf der Bühne stets den Blick einfängt, deckungsgleich mysteriös mit den Figuren, die er spielt. Als „La-Paloma“-singender Trickster war er in München zum ersten Mal zu sehen, in Sebastian Nüblings „Three Kingdoms“.
Regisseur Nübling besetzte Kübar erneut in einer Kammerspiele-Produktion, dieses Mal für die männliche Hauptrolle in „Orpheus steigt herab“. Ein angestaubtes Stück von Tennessee Williams und doch aufregend frisch, gerade wegen des Esten, der im Schlangenleder-Look in der US-Provinz auftaucht, ein nicht greifbarer, spleeniger Fremder, der das soziale Gefüge, die Herzen durcheinanderbringt. Seine Bewegungen: abrupt, schlängelnd, immer wieder überraschend.
Ein spannender Neuling ist Kübar auch an den Kammerspielen, dessen Ensemble zwar international, aber doch eher belgisch-niederländisch durchmischt ist. Benny Claessens, der Belgier, hat vor über einem Jahr schon ein Stück geschrieben, das man durchaus als Geschenk für den Kollegen verstehen kann. „Solo für Risto“ war der Arbeitstitel, nun heißt der Abend „Spectacular Lightshows of Which U Don’t See the Effect“. Claessens Text, in dem sich Momentaufnahmen aus Schauspielersicht häufen, in dem von der Sehnsucht nach Anerkennung, von dem Gesicht, der Anziehungskraft des anderen die Rede ist, haben beide über Bord geworfen. Bis auf eingespielte Sprachaufnahmen wird ohne Worte gespielt. Es soll nicht um das Zusammentreffen von Nationalitäten gehen, betont Benny Claessens, sondern um die Begegnung zweier Menschen.
Eine Inspirationsquelle, auch für das Bühnenbild von Teresa Vergho, waren die Arbeiten der britischen Künstlerin Tracey Emin, die 1999 mit ihrem autobiografischen Werk „My bed“ für den Turner Prize nominiert war, eine Installation, in der sie ihr ungemachtes Bett, Kondome, Unterwäsche ausstellte. Statt Claessens Text sind nun Improvisationen zu einer festen Szenenfolge geronnen, wobei Freiräume für Spontanes geblieben sind.
Es verspricht sehr körperliches Theater zu werden, wenngleich Risto Kübar gar nicht groß zwischen Körper- und Sprechtheater unterscheiden will: „Das Sprechen ist verbunden mit dem Körper. Ich spiele nicht absichtlich besonders physisch, das wurde mir erst nach ,Three Kingdoms’ von anderen gesagt.“ In Zukunft wird er weiter mit NO99 arbeiten, vermutlich auch mit den Kammerspielen. Doch jetzt kann man erst mal das Duo Kübar und Claessens erleben, in einer vermutlich irrlichternden, sicherlich einzigartigen Performance.
Premiere heute, Donnerstag, Spielhalle der Kammerspiele, 19.30 Uhr
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