So ist "Chicago" - die AZ-Kritik zum Musical von John Kander
Mit diesen Damen, so sexy sie auch sind, möchte man nicht unbedingt eine Beziehung eingehen. Breitbeinig sitzen sie auf ihren Hockern in einer Reihe, hinter ihnen auf der breiten Showtreppe spielt die kleine Big Band einen Tango, und die Ladies singen davon, wie sie ihre Gatten und Lover hübsch ins Jenseits geschickt haben. Zwei Warnschüsse gab die eine ab: „in seinen Kopf“. Das ist gar nicht nett, aber die Männer waren es auch nicht. Selbst schuld sind sie, deshalb tot und die Mordsweiber sitzen nun im Frauenknast, was manche Männerfantasie wiederum springlebendig in Gang bringt.
Was für eine schöne Sache doch die Sünde ist, zumindest aus der Ferne des Zuschauerraums. Dass Mord eine Form des Vergnügens sei, hört man im Musical „Chicago“, und lässt sich davon schnell überzeugen. Denn was sich auf der Bühne des Deutschen Theaters jetzt beinah täglich abspielt, ist ein messerscharfes Showspektakel, so perfekt kühl wie die Damen töten, unter ihnen als Neuzugang das aufstrebende Showgirl Roxie. Sie hat ihren Liebhaber erschossen, um überrascht festzustellen dass ihr Schussel-Dussel von Ehemann ihr doch nicht den entzückenden Rücken frei hält wie geplant.
Gerade zu Beginn hat diese Geschichte gehörigen Drive, schon mal rein formal, weil die Version von John Kander (Musik) und Fred Ebb (Texte) sich ausgiebig der Technik der Parallelmontage bedient, die Erzählzeit also tüchtig abgekürzt wird. Was eine Verfilmung nah legt, zuletzt geschehen 2002 durch Rob Marshall mit Starbesetzung. Dazu kommt die Rasanz der Musik, „All that Jazz“, mit dem die bläserstarke Band unter Leitung von Jochen Kilian das Geschehen aufheizt. Sie begleiten aus zentraler Bühnenlage all die Choreographien, ursprünglich von Broadway-Genie Bob Fosse erdacht, die ein schon rein optisch Genuss erzeugendes Ensemble begeisternd präzise tanzt.
Mit extra großer Federboa
Im Rampenlicht stehen jedoch die Stars, im doppelten Sinne, weil dieses Musical sich um die von Eitelkeiten und Manipulationen verseuchte Welt des Showbiz dreht: von der Presse naiv beäugt, besonders sensationsgeil und – versprochen – absolut abendzeitungsfern von der Boulevardtante Mary Sunshine verkörpert. Tinnitusgefährlich trifft Martin Schäffner auch die hohen Töne, Enthüllungsjournalismus bekommt durch ihn/sie am Ende eine besondere Note.
Ins Schrille, den Trash, der im Genre des Musicals ja doch öfters lauert, legt sich die Inszenierung gelegentlich mit Wonne hinein. Besonders beim Auftritt von Roxys Anwalt Billy Flynn: Da lassen die Tänzerinnen gigantische Federboas wackeln, formen sich Muscheln aus den weißen Wuscheln, während Billy, bei der Premiere von Livio Cecini mit wohl dosiertem Autoverkäufer-Charme gesegnet, sich bei allem Gesang kurz mal ein Pfeifsolo gönnt.
Ja, pfiffig ist diese Show, ein in Schwarz getauchtes Bad in heiterer Unmoral, bei dem selbst die Knastmama (Isabel Dörfler) mehr als nur streng mütterliche Erotik verströmt und auch toll singen kann. Aber das Gefühl? Für einen Moment klaut Volker Metzger die Herzen, wenn er als Roxys leichtgläubiger Gatte den beherzt schmetternden „Mister Cellophane“ gibt. Der Loser berührt, die Bad Girls beeindrucken. Als ebenfalls im Knast einsitzender Star Velma Kelly beweist Caroline Frank fulminante Showkraft, tanzt und singt in einer atemlosen Nummer vor, was eigentlich zwei aufführen sollten: sie und Roxy, zwei Seelenverwandte, vereint durch ihre Talente, auch fürs Durchtriebene.
Wobei in all den durchtrainierten Körpern nichts böse Verwinkeltes steckt. Glasklare, strahlende Energie, überall, vor allem bei Carien Keizer, die als Roxy sich zwar von Schmierenverteidiger Billy manipulieren lässt, aber selbst diverse Fäden zieht, nicht nur Tanz und Gesang, sondern auch knallig komische Pantomime kann. Allzeit virtuos, diese Roxy, grandios, so dass die Welt ihr zu Füßen liegen muss. Die Presse funktioniert jedoch anders, das müssen sie und Velma erfahren und kommen endlich zusammen: in einem Finale, das einen zwar nicht ganz umhaut, aber einen Abend beschließt, der mit gnadenlos guten Nummern jede Alltagssorge für zweieinhalb Stunden erfolgreich killt.
Deutsches Theater, Schwanthalerstr. 13, bis 10. April, Tickets unter Telefon 55 23 44 44
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