Interview

Sir Simon Rattle: "Mir ist nie ein Saal versprochen worden"

Simon Rattle über die Isarphilharmonie und den geplanten Neubau eines Konzertsaals im Werksviertel.
von  AZ
Der Dirigent Simon Rattle.
Der Dirigent Simon Rattle. © Astrid Ackermann

Der Gasteig in Haidhausen wartet auf einen Investor und die geplante Generalsanierung. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wartet auch: auf eine politische Entscheidung des Freistaats zum Bau eines eigenen Konzertsaals im Werksviertel.

Braucht es überhaupt einen Neubau?

Seit der Eröffnung der städtischen Isarphilharmonie stellt sich verstärkt die Frage, ob dieser staatliche Neubau überhaupt gebraucht wird, weil der als Gasteig-Interim geplante Bau weniger provisorisch ist als erwartet. Simon Rattle beantwortete die zu diesem Thema gestellten Fragen nach zwei Probentagen im neuen Saal über die Pressesprecherin des BR-Symphonieorchesters.

AZ: Sir Simon, Ihr künftiges Orchester wartet seit über zehn Jahren auf einen neuen Saal. Nun hat die Stadt in kürzester Zeit ein Gasteig-Interim hingestellt. Ärgert Sie das?
SIR SIMON RATTLE: Zuerst meine Gratulation dazu! Aber der Bau eines Provisoriums ist immer leichter, wenn Sie an das Contemporary Los Angeles oder den Ersatzsaal für die Tonhalle in Zürich denken. Aber ein Interim kann nicht die Erwartungen an einen vollwertigen Konzertsaal des 21. Jahrhunderts erfüllen, an ein Haus, das fast jedes Konzert im Radio oder als Stream überträgt.

Rattle: "Die Isarphilharmonie ist ein gut funktionierender Saal"

Was fehlt in der Isarphilharmonie?
Der Traum von einem Leuchtturmprojekt für Musik und Kunst, mit wichtigen pädagogischen Komponenten, mit Musikvermittlung und den digitalen Möglichkeiten des 21. Jahrhundert, ist im Interim nicht realisiert. Aber ich möchte die Isarphilharmonie nicht schlechtreden. Sie ist ein wirklich gut funktionierender Saal.

Falls der Freistaat im Werksviertel baut, gibt es dann in zehn Jahren nicht zu viele Säle, wenn der Gasteig saniert ist und die Isarphilharmonie stehenbleibt?
Überkapazität in einer Stadt wie München? Die Stadt wächst. Schauen Sie nach Wien, da gibt es viel mehr Angebote und alles ist immer voll. Natürlich ziehen Neubauten zusätzliches Publikum an. In Hamburg können sie gar nicht genug Veranstaltungen machen für das Publikum, das kommen will!

Rattle: "Der Prozess in München dauert schon lange"

Auch in London wurde Ihnen ein Saal versprochen, der nie gebaut wurde.
Mir ist nie ein Saal versprochen worden. Sowohl in London als auch in München komme ich in einen schon lange bestehenden Prozess hinein. Wenn man ein Orchester weiterentwickeln will, und wenn man die kulturelle Kapazität einer Gesellschaft durch ein Orchester vorantreiben will, muss es einen verlässlichen Ort dafür geben. Für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks klingt das aber alles noch wie Science-Fiction.

Der Akustiker Yasuhisa Toyota hat nicht nur die Isarphilharmonie gestaltet, sondern auch die Elbphilharmonie. Wie klingen beide Säle im Vergleich?
Die Elbphilharmonie ist wie eine hochauflösende Fotografie: klar und analytisch. Die Isarphilharmonie hat mehr Wärme. Ich mag den Hamburger Saal sehr, aber es ist eine echte Herausforderung dort zu spielen: Man hört jeden Makel. Bei Mahlers Neunter, meinem ersten Konzert in der Isarphilharmonie, gibt es pandemiebedingt keinen vollen Saal. Der Vergleich ist also vorerst schwierig.

Nicht jedes Stück passt zu jedem Saal

Mögen Sie den Herkulessaal, wo Ihr künftiges Orchester einen Teil seiner Konzerte spielt?
Ich habe dort Rafael Kubeliks Mahler-Zyklus gehört. Aber niemand würde sagen, dass der Saal für Mahler ideal wäre. Für eine Symphonie von Schumann ist er perfekt. Und das, wofür er wirklich wie gemacht ist, ist Barockmusik! Ich habe meine erste Saison als Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters hier bereits geplant, und ich hoffe, dass wir immer den richtigen Saal für das richtige Stück bekommen werden.

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