Shakespeares Komödie "Was ihr wollt" im Volkstheater in München: Eine Pause von der Welt da draußen
Er wolle mal wieder was Lustiges machen, kündigte Volkstheater-Intendant Christian Stückl auf der Spielzeit-Pressekonferenz im September an. Und was würde sich da besser eignen als William Shakespeares "Was ihr wollt"? Es ist eine von Shakespeares beliebtesten Komödien, und wie in eigentlich jeder seiner Komödien besteht der Witz darin, dass niemand den oder die liebt, die er haben kann.
Die kollektiven Gefühle verwirren sich vielmehr zu einem komplexen Geflecht unerwiderter Lieb- und Leidenschaften. Noch ein paar Verwechslungen und Intrigen dazu - und fertig ist der Jahrhunderte überdauernde Spaß, der wohl auch von der ihm innewohnenden Tragik lebt. Stückl hat die Übersetzung von Jens Roselt gewählt, der den Shakespearschen Sinn für derbe Komik wortwitzig und anspielungsreich ins Deutsche übertragen hat.
"Was ihr wollt" im Volkstheater: Bühnenbild wie aus einer Verkupplungsshow
Die Inszenierung ist extrem gut getimt und gelaunt, es ist Stückls beste Shakespeare-Inszenierung ever, ein candybunter Trip in eine Traumwelt. "Love Island" war gestern. Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier hat sich mal so richtig ausgetobt und eine Liebesinsel der Extraklasse auf die Bühne gebaut.
Vor einem gigantischen Siebdruck-Sonnenauf- oder -untergang leuchten die Letter L-O-V-E, davor Palmen und eine Plastik-Basthütte mit Sofas, die tatsächlich aus einer TV-Verkupplungsshow stammen könnten. Alles in rot und pink gehalten. Mehr Kitsch geht nicht. Hervorragend! Auch die Kostüme sind alles andere als dezent: von bunten Neopren-Tauchanzügen bis hin zu Bob-Marley-inspirierten Aussteiger-Outfits ist alles dabei. Diese Inszenierung ist ein ausgelassenes Festival der Liebe, eine Reise in eine Welt, die mit unserer (leider oder doch zum Glück?) sehr wenig gemein hat.
Inszenierung von Christian Stückl in München: Jeder Darsteller hat Raum zu brillieren
Und noch eines wird wieder mal bewusst an diesem Abend: Was für ein tolles Ensemble Christian Stückl da zusammengestellt hat! Jeder und jede Einzelne hat an diesem Abend Raum sich zu zeigen und zu brillieren, sowohl im Zusammenspiel als auch für sich. Lorenz Hochhuth liefert als Narr den Soundtrack zu den Liebeswirren, stimmt mal "Liebeskummer lohnt sich nicht, my darling" an und mal "The Bad Touch" von der Bloodhound Gang.
Alexandros Koutsoulis kifft und trinkt sich (natürlich stilecht mit dem Strohhalm aus Kokosnüssen) höchst amüsant durch den Abend, "haarig wie so'n Oberammergauer Robinson Crusoe", wie Malvolio ihn trefflich charakterisiert. Dieser, gespielt von Steffen Link, ist auch 'ne echte Nummer! Wie er sich verbiegt für die Liebe seiner Herrin, ist großartig. Und ohne zu viel zu verraten: Wie er schließlich die gelben Strümpfe trägt, nach denen sie sich vermeintlich verzehrt, hat man so noch nie gesehen!

Jan Meeno Jürgens leidet als unglücklich verliebter Herzog Orsino wunderbar prätentiös durch den Abend; Henriette Nagel wiederum nähert sich ihm verkleidet als Diener und verrennt sich immer tiefer in ihrer Doppelrolle als Liebende und Liebesbote. Liv Stapelfeldt ist als Gräfin Olivia mal zu Tode betrübt, mal himmelhoch jauchzend vor Liebe. Im knallengen Meerjungfrauenkleid stöckelt, rollt und taumelt sie über die Bühne, dass es eine Freude ist, übernimmt selbstbewusst und dominant die Führung in Sachen Liebe. "Wir spielen ein Spiel: Ich wünsch mir was, und du machst alles, was ich sage", schlägt sie dem so verwirrten wie beglückten Sebastian vor (Jawad Rajpoot).
Luise Deborah Daberkow treibt die Handlung als intrigante Zofe im Taucheranzug fulminant voran, Vincent Sauer sorgt als wirrer und liebenswerter Chaot Sir Andrew mit Einstein-Frisur dagegen für äußerst unterhaltsame Störungen im Ablauf. Cengiz Görür irrt als liebestrunkener Kapitän Antonio durch diese wundersame Welt, in der er da gestrandet ist und die ihm fremder nicht sein könnte.
Das Stück ist eine Pause von der Welt: Man kann auch mal lachen, wenn man nichts zu lachen hat
Wer sich nun fragt, ob wir nicht andere Probleme haben als die Liebeswirren zugekiffter Insulaner, dem sei gesagt: Ja, haben wir. Mehr als genug. Gerade darum aber tut so ein durchgeknallter Abend gut. "Man kann auch mal trinken, wenn man keinen Durst hat", sagt Sir Toby einmal. Und: Man kann auch mal lachen, wenn man nichts zu lachen hat. Eine kleine Pause von der Welt da draußen, ein gemeinsames Kraft- und Muttanken für die Rückkehr in die graue Wirklichkeit.
Ein Happy End in Sachen Liebe gibt es übrigens auch bei Stückl nicht. Das wäre bei all den Irrungen und Wirrungen tatsächlich unglaubwürdig. Aber: Sollte irgendwer noch mal fragen, warum Theater? Darum! Wegen Abenden wie diesem!
Volkstheater, Tumblingerstraße 29. Nächste Termine: 31. Oktober, 11. und 12. November. Karten online und unter Telefon 523 4655
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