Schuld, Sühne und Parfüm: „Œdipe“ in Bregenz

Die neue Festspielintendantin, die Finnin Lilli Paasikivi, vereint die Erfahrungen als erfolgreiche Mezzosopranistin mit Jahren der Operndirektion in Helsinki. Sie behält die Bregenzer Besonderheit bei: neben dem populären Werk auf der Seebühne im Festspielhaus die Rarität, eine Art Opern-Orchidee.
„Wir sind mit sehenden Augen blind“ könnte über dem 1936 erfolgreich in Paris uraufgeführten Musikdrama George Enescus stehen. Parallel zum Sieg des Faschismus in Europa gestaltete er, den Tragödien von Sophokles folgend, den blutigen Weg des dem Unrecht nicht entkommenden Ödipus: Flucht vor dem Götterspruch, Erschlagen des eigenen Vaters, Bezwingen der furchtbaren Sphinx, Aufstieg zum glänzenden König, Heirat der eigenen Mutter, Verfall des Staates bis hin zum Einsehen allen Unrechts - woraufhin sich Ödipus selbst blendet.
Das hat Enescu in drei Akten musikdramatisch gestaltet. Er wollte aber auch den Weg aus menschlicher Blindheit zeigen: demütige Schuldanerkennung, Verzicht auf Größe, Annahme der eigenen Begrenztheit - und damit Möglichkeit eines erlöst friedlichen Lebensendes in einem ganz dem Stil der französischen Tragédie lyrique verhafteten vierten Akt.

Schöne Bildwirkungen, wenig Deutung
All das könnte ein kalt entlarvender Spiegel sein: mit dem Auftrumpfen unserer „Masters of the Universe“, dem Scheitern einer humanen Weltpolitik, einer noch möglichen Zurücknahme unserer Maßlosigkeiten. Doch der inzwischen opernerfahrene, renommierte Schauspielregisseur Andreas Kriegenburg entschied sich mit Bühnenbildner Harald B. Thor für künstlerische Überhöhung. Beide ordneten den Akten Elemente zu: rotes Feuer, weiß-blaues Wasser, schwarzgraue Asche, naturbraunes Holz.
Leider blieb dies eher künstlich, trotz einiger guter Bildwirkungen, am stärksten beim tatsächlich undurchschaubar weißen Bühnennebel für Ödipus’ Vatermord an der Wegkreuzung, der sich dann in utopisches Blau wandelte für den anfangs fantastisch ausgeleuchteten Auftritt einer Raubvogel-Sphinx. Bedauerlich, dass hier nur Andreas Grüters Lichtregie beeindruckte, während die weltberühmte Bregenzer Akustik-Mannschaft nicht auch drinnen zauberte: Vokal blieb Anna Daniks Sphinx zu kleinformatig.

Auch insgesamt weitete sich Kriegenburgs Inszenierung nicht zum großen Gleichnis. Musikdramatisch konnte dagegen Hannu Lintu, der Chefdirigent der Oper Helsinki, mit den groß besetzten Wiener Symphonikern beeindrucken. Er ließ hören, dass die oft etwas als mit parfümiert abqualifizierte Komposition Enescus sehr wohl dramatisch und aufschäumend heftig die Handlung stützt.
Saxophon, Flötenvielfalt, eine Singende Säge und umfangreiches Schlagwerk setzen Akzente, so dass dann andererseits Streicher und warme Cello-Klänge selbst für Ödipus (in Scheitern und Blindheit dann groß: Bariton Paul Gay) und die liebende Gemahlin-Mutter (expressiv Marina Prudenskaja) anrühren. Auch die tapfer beim blinden Vater bleibende Antigone gewinnt Kontur (jugendlich prägnant Iris Candelaria).

Aus der durchweg guten übrigen Besetzung mit vielen dunklen Stimmen ragte der beobachtende Zeuge Phorbas von Vazgan Gazaryan heraus. Doch insgesamt war ein Werk zu erleben, das nach Kürzungen klingt und einen entschiedeneren Regie-Zugriff braucht. Dennoch einhelliger Beifall für eine künftig womöglich beeindruckend zu aktualisierende Problematik.
Wieder am 20. (11 Uhr) und 28. Juli (19.30 Uhr) im Festspielhaus Bregenz