Schillers "Wilhelm Tell" - naturbelassen
Wenn der Held auf dem Weg zur hohlen Gasse den Qualm der verbrannten Hütten durchschreitet, erinnert er an einen Rächer eines Italo-Westerns. Auch sonst meiden Regisseur Christian Stückl und sein Ausstatter Stefan Hageneier, was Friedrich Schiller für sein Spätwerk „Wilhelm Tell“ an Szenerie vorschwebte. Der Vierwaldstättersee, den bei Schiller ein Fischer mit den Worten „Es lächelt der See, er ladet zum Bade“ besingt, kommt nicht vor. Stattdessen erstreckt sich über die gesamte Breite des Passionstheaters eine Trümmerlandschaft.
Sie beschwört die Bilder, aus Kriegsschauplätzen letzten Jahrzehnte, an die man sich gewöhnen musste. Die Besatzer aus dem Habsburgerischen tragen SS-Uniformen. Das ist keine neue Idee, um die Schurken zu markieren, verfehlt aber ihre einschüchternde Wirkung nicht. Die geknechteten Bauern erscheinen in zeitlosem Partisanen-Look. Den Text hingegen ließ Stückl naturbelassen.
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Wie die Passionsspiele im vorigen Jahrhundert klangen, macht Peter Stückl, der Vater des Regisseurs, hörbar. Seit 1950 steht er auf der Bühne und führt heuer als Freiherr von Attinghausen die klassischen Verse in der knorrigen Diktion mit der messerscharfen Präzision eines Oberammergauer Holzschnitzers vor Ohren.
Die rund 80 jüngeren Mitspieler, die traditionsgemäß aus den 5400 Einwohnern des Dorfs gecastet sind, umklettern das Schillersche Jambengebirge mit stark unterschiedlichem Erfolg. Das macht vor allem die Dialoge im ersten Teil schwerfällig.
Erfrischend untheatralisch geht andererseits der junge Johannes Maderspacher als Tells Sohn Walther mit der Kunstsprache um. Sehr cool und mit unerschütterlichem Vertrauen in die Fertigkeiten des Papas erwartet er mit einem roten Apfel auf dem Kopf den Meisterschuss. Mit der legendären Apfelschuss-Szene gelang Stückl kurz vor der Pause im Übrigen ein Meisterwerk an Spannungsaufbau.
Schaulaufen für Jesus und Maria
Auch in diesem Jahr sind vor allem die geschickt geführten Massenszenen und bildstarken Tableaus die besondere Qualität. Unterstrichen wird die Wirkung durch den meist dezenten Soundtrack von Markus Zwing. Verborgen auf der Hinterbühne dirigiert er auch den 100-köpfigen Klangkörper aus Orchester und Chor.
Da im kommenden Oktober bereits die Besetzungen der Hauptrollen für die Passionsspiele 2020 bekannt gegeben werden, ist dieser „Tell“ auch ein Schaulaufen künftiger Jessusse und Marias. Rochus Rückel in der Titelrolle dürfte große Chancen für den Heiland-Part haben. Sein Schweizer Freiheitskämpfer ist ein überzeugend gebrochener Held, der noch im allgemeinen Jubel über den Triumph abseits sitzt und einfach nur seine Ruhe haben will.
Sein Gegenspieler Andreas Richter als der despotische Reichsvogt Gessler hingegen war bereits 2010 einer der beiden Jesus-Darsteller. Auch als Bösewicht überzeugt er mit aasiger Lust an der Macht unter einer trump-blonden Frisur. Die Frauen haben es in dieser rustikalen Männerwelt nicht leicht, aufzufallen.
Sophie Schuster aber wird als Tells Ehefrau Hedwig zum Ende hin eine starke Figur und Eva Reiser bringt als Berta von Bruneck etwas souverän Damenhaftes in das unaufdringlich auch immer wieder die politische Gegenwart befragende Breitwand-Spektakel ein.
Passionstheater Oberammergau, bis 11. August freitags und samstags, 20 Uhr, Telefon 08822/9458888
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