Rossinis "Ermione" mit Gustav Kuhn

Gustav Kuhn dirigiert bei den Tiroler Festspielen in Erl Gioachino Rossinis selten gespielte Seria-Oper „Ermione“
von  Robert Braunmüller
Der Dirigent Gustav Kuhn.
Der Dirigent Gustav Kuhn. © dpa

Düstere Musik, die mehr nach einem Requiem klingt als nach einer Oper. Dann betrauert ein Chor den Untergang Trojas. Eine typische Rossini-Steigerung mit kicherndem Klarinettensolo setzt ein, die nach einiger Zeit wieder vom klagenden Männerchor unterbrochen wird.

Auf dem Weg ins Festspielhaus von Erl konnte man sich noch fragen: Warum nach Österreich fahren, um Gioachino Rossinis „Ermione“ zu hören, deren Uraufführung 1819 in Neapel einer der größten Misserfolge des Komponisten war?

Rossini behauptete, diese Opera seria habe nur aus ein paar Rezitativen bestanden, Stendhal hat dem Werk die Nachahmung Glucks und die Häufung schlecht gelaunter Charaktere vorgeworfen.

Letzteres liegt am Stoff frei nach Racines tragischer „Andromaque“. Auch wenn nicht jede Szene so stark ist wie die Ouvertüre, lohnt sich die Reise nach Erl, um einen Blick in Rossinis musikdramatisches Versuchslabor zu werfen. Und die neuere Musikwissenschaft neigt dazu, „Ermione“ für ein wegweisendes Werk zu halten. Und zwar mit Recht, auch wenn nicht alles so stark ist wie die Ouvertüre.

Nervenzusammenbrüche als Dauerzustand

Gustav Kuhn, der bereits 1989 eine stargesättigte Aufführung in Pesaro dirigierte, hat eine selten glückliche Hand für den Seria-Stil. Er stellt den Ernst der Musik und ihre finster brodelnden Emotionen heraus. Noch immer gelingt es dem 72-jährigen Dirigenten, das überwiegend aus jungen Weißrussen bestehende Orchester der Tiroler Festspiele zu einem auf der Stuhlkante musizierenden Klangkörper zu formen.

Den Neapolitanern dürfte bei dieser Oper seinerzeit das Halbgefrorene vor Schreck auf das Kleid gefallen sein. In „Ermione“ beseitigen vom trojanischen Krieg schwer traumatisierte Griechen den Sohn des Hektor, um jede Rache im Keim zu ersticken. Drei Tenöre schwanken zwischen Pflicht und Neigung, Frauen leiden am permanenten Nervenzusammenbruch. Und das alles endet zu einer Zeit mit wüstem Gemetzel, als das Publikum von einer Opera seria noch immer einen versöhnenden Schluss erwartete.

Die Sänger führt Rossini an Grenzen. Die Titelparte komponierte er für seine Gattin Isabella Colbran, eine Expertin für die Darstellung hysterischer Extreme. Maria Radoeva schafft die expressiven Koloraturen ohne Mühe, Svetlana Kotina ist in der Rolle ihrer Widersacherin Andromaca ebenfalls exzellent. Die Tenöre Iure Ciobano und Hui Jin haben keine Mühe mit der extremen Höhe, nur Erls Universaltenor Ferdinand von Bothmer passt stilistisch da weniger hinein.

Dass einen die Figuren eher kalt lassen, liegt am experimentellen Horror-Klassizismus des Textbuchs. Die Inszenierung des Teams „Furore di Montegral“, von dem sich Kuhn beraten lässt, rettet sich vor dem Drama ins Dekorative. Die Figuren tragen ihre Traumata als Puppen herum, dass im Finale des ersten Akts wie in einer Buffa im Rhythmus der Musik schunkeln, müsste nicht wirklich sein.

Wein, Weib und Gesang

Die teilweise erwarteten Proteste gegen Kuhn, dem ein Tiroler Investigativ-Blogger „modernes Sklaventum“ durch Lohn- und Sozialdumping vorwirft, blieben aus. Anhängige Klagen gegen den Kritiker sind noch nicht entschieden. Der Festspielpräsident und Haupt-Mäzen Hans Peter Haselsteiner nutzte die Eröffnung der Festspiele am Tag vor „Ermione“ für einen Gegenangriff: Er rügte den modernen „Pranger der Sozialen Medien“ und verteidigte die Liebe des Dirigenten zu „Wein, Weib und Gesang“.

Tatsächlich scheint nach gegenwärtigem Erkenntnisstand juristisch nichts vorgefallen zu sein. So lange die angeblich ausgebeuteten Künstler scheuen, ihr Gesicht zu zeigen, bleibt es ein plausibles Gerücht, dass Kuhn die Tiroler Festspiele Erl als Patriarch und nach Gutsherrnart führt.

Die Intendanz ist für die Zeit nach 2020 ausgeschrieben, Haselsteiner hofft aber, dass Kuhn Erl als Dirigent erhalten bleibt. Durch den Bau des Festspielhauses neben dem Passionstheater hat das Festival bereits seinen familiären Charme verloren. Eine Programmlinie jenseits von Wagner-Kraftakten und sonstigen Musikmarathons innerhalb von Kuhns Repertoire ist kaum erkennbar. Kuhn ist Erl und Erl ist Kuhn. Das ist nicht nur in der Kultur das Problem starker Gründerfiguren und bisweilen die Tragik der von ihnen begründeten Institutionen.
   
„Ermione“ noch einmal am 13. Juli. Erl ist über Oberaudorf mit dem Meridian per Bahn gut erreichbar (Bustransfer, Taxis). Die Festspiele dauern bis noch bis zum 29. Juli. Infos unter www.tiroler-festspiele.at
 

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