Rasend komisch: Torsten Sträter im Circus Krone
Ein Zuschauer, der im Circus Krone am Rand direkt neben der Bühne sitzt, auch noch im Rücken des auftretenden Künstlers, und gemeinsam mit seiner Frau zu Beginn der Show genüsslich weiter Nachos isst – das ist natürlich für Torsten Sträter ein gefundenes Fressen.
Das Geknusper fällt dem wachsamen Komiker sofort auf, das geht ihm auf den Keks, und so dreht er sich immer wieder um zu dem Pärchen, das ihm großzügig was anbietet. "Nein, ich möchte keine Nachos!", wehrt Sträter ab. "Bin grad auf Arbeit!"
Wie gekonnt der Altmeister der spontanen Komik auf die schlechten Manieren seines Publikums reagieren kann, bewies er bei der München Premiere seines neuen Programms "Mach mal das große Licht an" aufs Neue. Wehe, wenn jemand während des steten Sträter-Redeflusses auf seinem erleuchteten Handy eine Nachricht schreibt ("Sie sehen aus wie ein Gespenst!") oder herzhaft gähnt – Sträter sieht alles, er kommentiert alles, er lässt sich nix gefallen.
Der Kontakt zu einzelnen Zuschauenden nimmt großen Raum ein, der rote Faden des Programms ist eh so lose wie das Mundwerk des Sprachkünstlers. Der Mann aus Dortmund ist ein Kumpeltyp, der die Nähe zu den anderen offenbar braucht. Der Abend fühlt sich dabei so an, als ob man mit ihm gerade an irgendeiner Döner-Bude im Ruhrgebiet steht und gemeinsam Gedanken über den Flachsinn der Welt spinnt. Wobei die Oberhand in Sachen Witze stets der Klügere hat, und der Klügere ist sicherlich Sträter.
In irrwitzigem Tempo rast er von Pointe zu Pointe, man sieht förmlich die Synapsen unter der schwarz bemützten, am Ende freizügig nackt präsentierten Kopfhaut glühen. Ob er gerade munter drauflos improvisiert oder vorbereitete Gags so abschießt, dass sie improvisiert wirken, ist kaum zu unterscheiden.
Die hohe Kunst, längst Gedachtes als gerade Eingefallenes zu verkaufen, hat Sträter mit US-Standup-Comedians gemeinsam. Wie sie schöpft er sein Material aus seinem Alltag: Alles ist letztlich wahr, behauptet er, und lässt das Wahre immer wieder ins Absurde rotieren.
Oder soll man wirklich glauben, dass Sträter nach seiner dritten Corona-Infektion unter einer Schwäche des Kurzzeitgedächtnisses leidet, was zur Anekdote führt, dass er die Kasse einer Tankstelle ein, zwei, drei, vier Mal verlassen musste, um nachzuschauen, an welcher Zapfsäule er getankt hatte?
Sträters Erinnerungs- und Sprachvermögen wirkt beneidenswert intakt, er kann durch Nummern und Improvisationen surfen wie ein Computer-Nerd durchs Internet. Mit den Wundern der digitalen Welt steht er jedoch auf Kriegsfuß. TikTok-Filmchen bringen ihn nur ironisch in Ekstase, also, eigentlich in Rage.
Wie bei so vielen Komikern ist die Wut bei ihm ein steter Motor für die Witzproduktion. Sprachverhunzungen – ein Wort wie "Witzproduktion" gehören sicherlich dazu – machen Sträter sauer. Dazu gehört auch das heutige Phänomen der Sprachverknappung. Dass aus dem Sätzchen "Hast du ein Auto?" mittlerweile "Hast du Auto?" oder gar "Auto?" geworden ist – als ob ihn da jemand fragt, ob er selbst ein Auto sei –, bringt Sträter völlig aus der Spur, da geht bei ihm die Warnblinkanlage an.
Eigentlich ist ja seine Mutter zentrales Thema des neuen Programms, so behauptet er zumindest, strickt auch an ein paar Erinnerungen herum, um ständig abzuschweifen. "Mach mal das große Licht an", das ist ein Zitat der Mama und lässt sich vielleicht so verstehen, dass der Sohnemann schon immer eine große Leuchte war.
Jedenfalls erhellt er jetzt das Publikum mit seinen schrägen – und manchmal ganz ernst gemeinten – Einsichten, strahlt so ausdauernd mit seinem Witz, seiner Spielintelligenz, seinem charismatisch brummenden Charme ins Zelt hinein, dass man irgendwann ein bisschen müde wird und die Frau vom Nacho-Mann von der Seite zu bedenken gibt, dass ihr Babysitter nur bis 23 Uhr Zeit hat.
Aber egal. Sträter performt bis zehn nach Elf, über drei Stunden lang, wenn man die halbstündige Pause mitrechnet, und flicht die losen Gag-Enden zuletzt so virtuos zusammen, dass der ordnende Kopf hinter dem Chaos zu Tage tritt. Eine Zugabe gibt Sträter nicht. Arbeit getan. Vielleicht gibt's backstage Nachos.
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