"Radikal jung": Bis die Augen flimmern
München - Hinschauen kann schon stressig sein. Weit aufgerissen ist das Auge auf dem diesjährigen Festivalplakat für „Radikal jung“, rote Adern ziehen zackig durchs Weiß. Vielleicht ist es ja das wund geblickte Auge von Kilian Engels?
Der Festivalleiter hat mit seinen beiden langjährigen Jurykollegen, Kammerspiele-Schauspielerin Annette Paulmann und Publizist C. Bernd Sucher, rund vierzig Theaterproduktionen besucht, um zehn davon für die zwölfte Ausgabe des Festivals junger Regisseure einzuladen. Von heute bis zum 30. April läuft das Programm im Volkstheater. Heute ist die Eröffnung mit der Inszenierung „Flimmerskotom“ von einem Regiekollektiv aus Gießen. Danach: die Eröffnungsparty plus Karaoke.
AZ: Herr Engels, Sie sind seit Dezember 2014 stellvertretender Direktor der Otto Falckenberg Schule und leiten weiterhin Radikal jung. Hat sich ihr Blick auf die Inszenierungen junger Regisseure durch Ihre neue Tätigkeit verändert?
KILIAN ENGELS: Nein, definitiv nicht. Ich bin in erster Linie zuständig für die Ausbildung der Regisseure und schaue aber jetzt auch nicht anders auf Inszenierungen wie ich es früher getan habe. Mich beschäftigt aber schon die Frage, wie zeitgenössische Regie aussieht und aussehen könnte. Muss im Theater wirklich die Verwandlung und Identifikation, der Umgang mit literarischen Texten im Vordergrund stehen oder gibt es auch ganz andere Formen? Es fällt zudem auf, dass die Machtposition des Regisseurs zunehmend hinterfragt wird. Auch bei den eingeladenen Produktionen hat man eher selten den Fall, dass jemand alleine denen auf der Bühne autoritär gesagt hat, was sie machen sollen. Stattdessen verstehen sich viele als Akteure, die selbst schreiben, spielen und Regie führen.
Jemand wie Ersan Mondtag, der zum dritten Mal zum Festival eingeladen ist, mit der rein körperlichen, sprachlosen Familiengeschichte „Tyrannis“, ist aber doch der alleinige Regisseur.
Ja, aber er versteht diese Inszenierung sicherlich als Arbeit, die gemeinsam im Kollektiv entstanden ist. Ich denke auch an Inszenierungen wie „J.U.D.I.T.H“, bei der Marja Christians und Isabel Schwenk, beide Studentinnen aus Hildesheim, selbst als Performerinnen auf der Bühne stehen und sich erfolgreich an einer feministischen Dekonstruktion des Hebbelschen Dramas versuchen. Oder „Raging Bull“: Da inszeniert sich Mathieu Létuvé selbst zusammen mit einem Musiker und einem Tänzer auf der Bühne.
Dieses Experimentieren mit neuen Formen findet man auch verstärkt an den Kammerspielen.
Wie ein Stadttheater funktioniert, das verändert sich gerade sehr stark, aber das passiert nicht nur in München, sondern überall. Dabei gibt es Protagonisten wie Florentina Holzinger und Vincent Riebeek, deren „Schönheitsabend“ wir zum Abschluss zeigen und die mit „Kein Applaus für Scheiße“ in den Kammerspielen gastiert haben. Wir zeigen aber beispielsweise auch Daniel Foersters Inszenierung von „Fräulein Julie“, was einfach starkes, energiegeladenes Regie- und Schauspielertheater ist.
„Flimmerskotom“, mit dem das Festival heute eröffnet, wurde von einem Regie-Trio aus Gießen inszeniert. Dabei sollen jedoch die Bühnentechnik, insbesondere die Scheinwerfer, die Hauptrolle spielen. Das klingt nach der Vermenschlichung von Dingen, wie man sie aus Pixar-Filmen kennt.
Ja, ich musste auch an „Wall-E“ denken. Wobei ich gar nicht weiß, ob den Regisseuren dieser Vergleich gefallen würde. Die Idee ist: Normalerweise sieht man Menschen auf der Bühne stehen, die etwas spielen, und es hängen darüber zwei, drei Scheinwerfer, die der Zuschauer aber einfach wegguckt. In „Flimmerskotom“ wird dieses Verhältnis umgekehrt, die Scheinwerfer rücken in den Vordergrund. Damit können wir vielleicht unsere Vorstellung von Theater neu reflektieren. Es gibt diese blinden Flecken, mit denen sich mehrere Inszenierungen beschäftigen. In diesem Fall ist es eben die Technik.
Bei einer Festival-Einladung – Abdullah Kenan Karacas Inszenierung von Fassbinders „Katzelmacher“ – hat zunächst was gefehlt: die Premiere. Die Inszenierung wurde eingeladen, bevor sie erstmals vor Publikum auf Kampnagel in Hamburg, später dann im Volkstheater gezeigt wurde.
Ja, aber wir haben eine der Endproben besucht. Grundsätzlich wird ja eine Eigenproduktion des Volkstheaters eingeladen, das ist gesetzt, weil das Volkstheater Ausrichter des Festivals ist. Dann haben wir geschaut, wer überhaupt in Frage kommt. Wir haben uns letztlich für Abdullahs Inszenierung von „Katzelmacher“ entschieden, weil es mit seinem gesellschaftskritischen Hintergrund, als Stück über einen Migranten in einer kleinstädtischen Gemeinschaft, eine aktuelle, reizvolle Inszenierung ist.
Mehr oder minder reizvoll ist auch Karaoke. Bei der Eröffnungsparty spielt eine Karaoke-Band aus Österreich auf. Jeder darf auf die Bühne. Singen Sie auch?
Momentan plane ich nicht, mitzusingen. Ich trinke lieber.
Bis 30. April, Eröffnungam Freitag mit „Flimmerskotom“, 19.30 Uhr, 523 46 55; ab 21.30 Uhr Eröffnungsparty mit der Band Karaoke Bash, www.muenchner-volkstheater.de
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