„Portrait Richard Siegal“ - die AZ-Kritik

Eröffnung der Ballettfestwoche: Das Staatsballett tanzt ein „Portrait Richard Siegal“ im Nationaltheater
Vesna Mlakar |
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Die Struktur ist klar, die kraftgeladenen Bewegungen kippen permanent ins Extreme: 30 Minuten dauert Richard Siegals Power-Stück „Unitxt“. Zeit für abschweifende Gedanken bleibt kaum. Zum Sythesizer-Piepsen und Schreibmaschinengetrommel (Carsten Nicolai) schiebt sich das fast den gesamten Abend charakterisierende Wort „NOISE“ ins Bild.

Hinter der Leinwand sammeln sich derweil die Tänzer. Dann geht alles rasend schnell: Sieben Frauen und fünf Männer schießen hinein in den dämmrig leeren Raum. Die Hände vor der Hüfte gefaltet, grooven erst einer, dann zwei Jungs im kniegefederten Nachstellschritt – seitlich nach rechts, dann nach links. Immer wieder. Das von lässiger Vehemenz getragene Muster übernimmt bald eine hinzueilende Gruppe, die passend zum zackigen Sound außerdem die Köpfe hin- und herschwenkt.

Wie unter Strom

Die Konzentration der Interpreten wird durch Licht und das Aufscheinen zweier weiterer Schriftzüge – „SIGNAL“ und „SILENCE“ – gesteuert. Verdichtet sich die Choreografie zu Paaren oder Trios, verstärken den wie unter Strom gesetzten Drive Greifschlaufen an den Korsagen der Tänzerinnen (Industrial Design: Konstantin Grcic). Sie werden gezogen und geschoben oder zirkelartig vom Partner mitgedreht.

Das Resultat: choreografische Beschleunigung und Unvorhersehbarkeit. Nach der „If/Then“-Methode des aus North Carolina stammenden Ex-Forsythe-Tänzers ist ein Tanzstück voller explosiver Körperspannung entstanden, das auch beim wiederholten Sehen tranceartige Sogwirkung entfaltet.

Anfangs Körpertheater, später Rückkehr zu klassischen Schritten

Attribute, die ebenso für „Metric Dozen“ gelten. Bereits im September war das mit dem Komponisten Lorenzo Bianchi Hoesch 2014 für das Ballet National de Marseille kreierte Stück in Originalbesetzung in der Muffathalle zu erleben. Nun setzte der Choreograf es ans Ende seines „Portrait Richard Siegal“-Abends. Während einige Ehemänner noch überlegen, wie sie sich der anschließenden „Tanznacht“ zum 25-jährigen Bestehen des Staatsballetts entziehen könnten, wird es schlagartig dunkel.

„Jetzt hat’s die Sicherung rausgehauen“, ist zu hören. Doch die Irritation ist nur der Startschuss zu einer extrem physischen, darstellerisch extrovertierten und rhythmusbasierten Show, in der der Amerikaner in hurtigen Formationswechseln den Mechanismen von Laufsteg und menschlicher Kommunikation nachspürt.

Dabei lässt zehn von Alexandra Bertaut in lacklederne Sweatshirts gekleidete Darsteller oft rückwärts durch den Raum rauschen, bevor sie ihre nackten Beine durch die Luft schleudern, die Arme wie Scheren auf- und zuklappen oder butterweich von einer in sich verdrehten Pose in eine andere flutschen. Das gefällt! Als Gäste mit auf der Piste: Katharina Christl und Diego Tortelli (auch für die Einstudierung verantwortlich) sowie – supergeschmeidig – Kévin Quinaou und Siegals dunkelhäutiger Riese Corey Scott-Gilbert. Unter den Münchnern sei Jonah Cook erwähnt, dem Siegal in seiner zentralen Uraufführung „In A Landscape“ einen einfühlsamen Part zuwies.

Was will man mehr?

Für den meditativ über die Bühne fließenden Halbstünder greift Siegal mehr als sonst zum Schrittrepertoire der Klassik. Was den Vorteil hat, dass man dem Fluss der Bewegungen besser folgen kann. Beispielsweise wenn Ekaterina Petina sich rückwärtsgewandt, ein Bein nach vorne gestreckt, ihrem Partner den Nacken voran entgegenschlängelt. Eine reizvolle Tanzvokabel, zu der die schillernde Haut von Reptilien als Inspirationsquelle für die Kostüme (Bertaut) passt.

Den Bogen zum Anfang spannt Grcics Ausstattung. Sie besteht (neben einer fliegenden Lichtdrohne und einer hängenden Lichtschiene) aus zwei verschiebbaren Wänden. Musikalisch verbindet sich Ryuichi Sakamotis Klaviermusik mit Elektrosound von Carsten Nikolai zu einer fast lyrischen Klangkulisse, die selbst abrupte solistische Momente oder flinkes Gruppenauftreten zu entschleunigen scheint. Ein Effekt, den die breiig-graue Beleuchtung unterstreicht. Im Ganzen aber reißt den Betrachter das intensive Zusammenwirken von tänzerischer Energie, musikalischem Impuls und visueller Atmosphäre in allen drei Arbeiten mit. Was will man mehr?

Wieder am 19. April, 8., 26. und 30. Mai. Karten Telefon 2185 1920

 

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